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Goldrausch

Die andere Freundin aus Münster ist angereist. Ich habe Zucchini-Dal für uns beide vorbereitet. Nach dem Essen Beine hoch auf der Terrasse. Wir haben uns viel zu erzählen. So lange haben wir uns nicht gesehen!

Als es Abend wird, fahren wir hinauf auf den Hügel, der seinen Rücken lang ins Altenautal hineinreckt. Links unter uns liegt jetzt der Eselgarten. Von den Hügeln gegenüber fließt Nebel zur Altenau hinunter. Um uns herum und über uns nur noch Himmel.

Und was für einer! Die untergehende Sonne gießt Farben geschmolzenen Goldes über die Wolken. Streifen in allen Nuancen von Rot bilden sich nach Süden hin zwischen kräftigem Himmelsblau. Über dem Wald im Norden bauscht sich ein wattedickes Gewölk vor dem Widerschein des Sonnenfeuers.

Ich setze mich ergriffen auf den sonnenwarmen Weg. Die Freundin läuft weiter hinein in die Wiese, die sich vor uns ausbreitet, den Blick ringsum zum Himmel gerichtet. Die Sinne können das Spektakel kaum erfassen, das sich uns schenkt.

Das Lottchen klebt an ihren Fersen, obwohl ICH das Futter in der Tasche habe. Die beiden haben sich vom ersten Tag an geliebt,- seit das wuschelweiche Welpenmädchen ihr zum ersten Mal auf den Schoß gehopst ist. Der kleine Hund, dem nur ein Meerschweinchengeschirr passte, musste dazu ordentlich Anlauf nehmen und dann die ausgestreckten Beine als Rampe benutzen. Oben angekommen wedelte das Schwänzchen wie verrückt und Lotta wusste sich gar nicht zu lassen vor lauter Freude über die neue Eroberung.

Heute ist sie nicht mehr ganz so mobil, aber wenn die Freundin da ist, nimmt sie all ihre Kraft zusammen, um ihr möglichst nah zu sein.

Als die Sonne im Schattenspiel mit den Wolken wirklich alles ihr Mögliche gegeben hat, verblassen die Farben. Sie werden in uns nachwirken.

Obwohl wir uns kaum losreißen können von diesem Ort, fahren wir doch bald zur letzten Fütterung des Tages zu den Eseln. Die Schöne und die Süße, Rosalie und Lotte, haben das Himmelsschauspiel auch genossen. Da bin ich mir sicher. Doch jetzt haben sie Hunger, warten auf uns, bekommen noch einen ausgiebigen Kuschler, bevor sie sich zufrieden durch ihre Portion Abendheu knabbern.

 

8. September 2024

Holunder im Herzen

So plötzlich ist es Herbst geworden. Die Windräder rauschen, als wäre dort oben am Himmel pausenlos Flugverkehr.

Der Sturm greift in den Apfelbaum und schleudert das Obst herunter. Schöner von Boscoop. Das gibt ein paar Gläser leckeren Apfelmus für den Wintervorrat. Ich mag ihn gern heiß mit einem großen Löffel voll schmelzenden Schmands, der die Säure abmildert.

Es gießt, das Blätterdach des Waldes hat einen zarten Gelbhauch bekommen. Wann ist das passiert? 

Die Rosen blühen wieder auf, meine MOIN MOIN am Rosenbogen, dem Tor, durch das man unter den Schirm des Apfelbaums tritt, macht mir richtig Freude, während die Zucchini in Kälteschockstarre fallen und das Wachstum vorübergehend einstellen. Nicht schlimm!

Zwischen den Zweigen des Schwarzen Holunders haben Rosalie und Lotte noch vorgestern Schutz vor der Hitze und den Fliegen gesucht. Die setzen ihnen an heißen Tagen so fürchterlich zu, beißen ihnen die Beine blutig, wenn ich sie nicht mit Insektenspray in die Flucht sprühe. Nun ist es nur noch halb so warm, die Fliegen sind fortgeflogen, das Laub ist welk und die meisten Holunderbeeren sind schon heruntergerieselt in den Sand. Die Esel mögen sie nicht. Genauso wenig wie das Laub, die Zweige und den Stamm. Deshalb stehen die Büsche auch völlig unbehelligt auf dem Sandplatz. Sie sind eine Rarität im Eselgarten, dessen andere Bäume allesamt auf dem Speiseplan der Esel stehen. Deshalb habe ich ja auch Baumrindenwachs.

Auf die Beeren des Holunders habe ich nun so lange gewartet. Er ist Heilpflanze des Jahres 2024! Sechs tiefdunkelrote Büschel kann ich immerhin noch ernten. Roh esse ich sie aber nicht. Sie enthalten den schwach giftigen Stoff Sambunigrin, daneben aber auch viel Vitamin C.

Also ab in den Kuchen damit, der so richtig lecker gesund wird und auf der Zunge schmilzt. Ich backe die Beeren auf dem Obstboden aus Mürbeteig gleich mit, gieße eine Mischung aus 250 g Schmand, 100 g Zucker und 2 Eiern darüber, die noch einmal 15 Minuten mitbackt. Über die Küchlein stäube ich dann noch ein wenig Puderzucker. Nicht, dass sie nicht schon süß genug wären, aber Holunder schneit! Zwei, drei essbare Blüten rechts oben in der runden Backe des Herzchens würden hübsch aussehen. Aber als ich die Hornveilchenblüten auf meiner Terrasse entdecke, haben meinen Nachbarn und ich das herbsüß fruchtige, cremigfeine Naschwerk schon restlos aufgenossen. So schmeckt der Spätsommer.

 

11. September 2024

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Salbei-Mäuse

Was soll ich nur mit all den Salbeiblättern machen? Die aus Stecklingen gezogenen Büsche sind ordentlich gewachsen, haben im Frühsommer wunderschön geblüht. Damit die langen Triebe nicht verholzen und verkahlen, kürze ich sie kräftig und stehe schon wieder in einer Duftwolke.

Hustenbonbons kommen mir in den Sinn. Die kann man doch bestimmt selber machen. Aber eigentlich möchte ich meinen Zuckerkonsum weiter reduzieren. Zucker befeuert Entzündungen und wie ich mich kenne, wären die Klümpchen dann bis zum nächsten Husten längst aufgefuttert.

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Salbei wirkt aber auch heilend bei Infektionskrankheiten, Magengeschwüren und fehlerhafter Ernährung (Wighard von Strehlow: Hildegardheilkunde von A - Z, 2019). Hebt er vielleicht sogar die Folgen von Zuckerkonsum in Hustenklümpchen und Holunderherzchen wieder auf? Kommt wohl auf die Menge an.

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In der Küche sollen die kleingehackten Blätter praktisch jedes Fleischgericht, Saucen und Suppen schmackhafter machen. Herr Strehlow hat sogar ein Rezept für SALBEI-MÄUSCHEN parat: Salbeiblätter in Dinkel-Bierteig ausgebacken. Das will ausprobiert werden! 

 

Eine Handvoll Salbeiblätter / 5 Stängel in einen Teig aus

4 Esslöffel Dinkelmehl,

1 Ei und

3 Esslöffel Dinkelbier

tauchen und in

heißer Butter oder Sonnenblumenöl goldbraun ausbacken,

abtropfen lassen und

etwas Salz darüberstreuen.

 

Ich bin gespannt.

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14. September 2024

Lieblingsplatz

Ich habe neuerdings einen leichten Klapphocker dabei, wenn ich den Lottahund und Josh laufen lasse, denn der Boden ist deutlich abgekühlt. Ich sitze heute Morgen wieder auf dem Hügel, auf dem die Freundin und ich noch vor ein paar Tagen im Sonnenuntergang standen. Von hier aus schaue ich auf das Dorf, das jetzt still im morgendlichen Dunst liegt. Alle Herrgottsfrühe, denke ich. Dem Himmel so nah und noch allein mit dem Herrn und den meinen. Der Nachbarhügel links von mir streckt seine steile Nase ganz nah ans Dorf heran. Obendrauf mein Wohnhaus im Feriendorf, an seinem Fuß der Eselgarten.

Die Hunde haben sich auf der Wiese rechts von mir zur Mäusejagd verbündet. Ein ganz seltener Anblick, denn sie leben zu meinem Leidwesen meist nebeneinander her. Aber Josh hat jetzt diese kleinen Mauselöcher in der frisch gemähten Heuwiese gefunden, aus denen es so unwiderstehlich duftet. Er gräbt die Öffnung ein wenig weiter, so dass seine Nase auch wirklich ganz hineinpasst. Nimmt einen tiefen Zug, der Schwanz wedelt schon wieder Turbo. Da denken das Lottchen und ich wehmütig an die Zeit, als wir beide noch allein in dem alten Haus mit dem riesigen Obstgarten im Nachbardorf wohnten. Da war sie noch ein ganz junger Hund, der stundenlang vor einem Mausloch sitzen konnte. Jetzt hilft sie Josh, übernimmt einen Nebenausgang des Baus, beißt das Gras aus der Öffnung, taucht mit der Schnauze hinein ganz genauso wie früher. Meine Hunde in Mäuse-Ekstase.

Joshs Loch ist nach 20 Minuten ein Krater. Lotta verlässt die Kraft, taumelt ein wenig. Da fällt ihr zum Glück meine Hosentasche wieder ein. Was soll man denn auf der Mäusewiese arbeiten, wenn es da einen Futtervorrat in Lisas Tasche gibt? Recht hast du, kleine Maus. Oh, Verzeihung! Kleiner Hund. Du bist immerhin seit einer Woche vierzehn. Ruh dich aus, mache ich ja auch. Ich ziehe ihr vorsichtig einen Placken feuchten Grases aus dem Mäulchen und reiche ihr eine kleine Fleischkrokette.

So langsam wird mir kalt auf meinem Höckerchen. Josh ist noch voller Energie, springt von einem Mauseloch zum anderen. Ob ich ihn mit guten Argumenten hier wegbekomme? Das Futter lockt ihn nicht. Das Lottchen und ich setzen uns schonmal ins Auto. Josh interessiert auch das nicht. Als ich aber ganz superlangsam anfahre, gibt endlich auch mein kleiner Hundejunge Gas und hüpft zu uns in den Wagen.

Im Feriendorf angekommen, schafft er es noch so gerade eben hinter die Hecke, um sein Häuflein abzulegen. In der Wiese kommt man ja nicht dazu.

 

16. September 2024

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Habermus

Ich muss meine Ernährungsgewohnheiten noch einmal umkrempeln. Die Vielfalt beim Essen, die der NDR-Ernährungs-Doc Matthias Riedl 2023 im Feldzug gegen Long-Covid proklamierte und mit der ich bis zur Reha wirklich sehr gut gefahren bin, funktioniert bei mir nicht mehr. Im Gegenteil. Seit ein paar Monaten entwickle ich immer mehr Unverträglichkeiten, auch von gesund geglaubten Lebensmitteln. (https://youtu.be/anN6klzu1iY?si=QzLl9AMQtRZEgR0S)

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Ruth Biallowons, Ärztin für funktionale, also ganzheitliche Medizin, erklärt die unzähligen Symptome bei Fatigue so: im Körper gibt es die fünf großen Systeme, die sich die Energie, die wir durch Nahrungsmittel zu uns nehmen, untereinander aufteilen. Das sind Muskulatur, Verdauung, Immunsystem, Herzkreislauf und Gehirn. Gibt es einen Angriff auf eines der Systeme, zum Beispiel eine Virusinfektion, schickt der Körper vermehrt Energie ins Immunsystem, die dann in den anderen Systemen fehlt. (https://youtu.be/t_j-0xENJnA?si=uef6EoUyYZdGTfg2).

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Klingt für mich logisch, Genau das passiert in meinem Körper: Seit der Infektion mit dem Coronavirus ist die Leistungsfähigkeit meiner Muskulatur, des Herzkreislaufs und die des Gehirns stark beeinträchtigt. Jetzt wird offenbar weitere Energie aus dem Verdauungssystem abgezogen. Mein Körper kommt mit Milch, Jogurt, Süßem, Schokolade, Früchten mit hohem Säureanteil, reifem Käse, Wein und verschiedenen Gemüsen nicht mehr klar.

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Was nun? Ich probiere es immer häufiger mit den Ernährungsempfehlungen der Hildegard von Bingen, die mir bisher zu einseitig, zu dinkelig waren. Jetzt aber klingen sie nach Frieden für Zunge, Speiseröhre und Bauch. Ab sofort gibt es deshalb Habermus zum Frühstück, Hildegards gekochten Getreidebrei für Verdauungskranke mit einem Teelöffel Honig, Apfelstückchen oder Beeren, jeweils einer Messerspitze von den Gewürzen Bertram, Galgant und Zimt. Oben drüber werden gehackte Mandeln und Flohsamen gestreut. Hildegards einzige Alternative zu dem Brei ist KEIN Frühstück.

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Sie favorisiert ja Dinkelschrot, aber mir schmeckt Hafer, frisch geschrotet in meiner hübschen Kaffeemühle, eindeutig besser. Das lässt Hildegard auch gelten: Hafer erwärmt insbesondere die Geschmacksnerven und den Geruchssinn. Gesunden Menschen wird Hafer zur Freude und Gesundheit dienen. Sie fördern ein fröhliches Gemüt und eine reine helle Aufgeschlossenheit in diesen Menschen. Außerdem wird die Haut schön und das Fleisch kernig gesund. (Strehlow, Hildegardheilkunde von A-Z, 2019, S. 220).

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Na bitte, wer sagt's denn?! Und Hafer gibt es in Husen sogar direkt vom Erzeuger, unten im Dorf beim Biobauern.

 

17. September 2024

Flohsamen

Bis zum nächsten Einkauf muss mein Habermus ohne Bertram und Galgant auskommen. Die beiden Gewürzpflanzen sind leider nicht heimisch. Es gab zwar mal ein paar Jahrhunderte lang den Deutschen Bertram. Aber seit Ende des 19. Jahrhunderts wird er nicht mehr angebaut. Wie schade. Vielleicht kann ich ein paar Pflänzchen kultivieren? Sie sind winterhart, aber empfindlich gegen Nässe. Bis ich mich an die Bertramhaltung wage, muss ich also mit der Importware aus Spanien, der Maghreb Region und dem Kaukasus vorliebnehmen. Das gefällt mir ja nicht so richtig.

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Galgant muss noch weiter reisen. Das Ingwergewächs stammt aus Südostasien. So wie der uns bekannte Ingwer verträgt er keinen Frost, wäre also im Winter ein Fall für die Fensterbank.

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Die handelsüblichen Flohsamen werden aus Indien oder Pakistan bezogen. Da ich nicht möchte, dass schon mein Frühstück um die halbe Welt reist, wenn es sich eben vermeiden lässt, ersetze ich sie durch die ebenso winzigen Samen des heimischen Breitwegerich. Die jetzt reifen Samenstände am Wald- und Wegesrand ziehe ich mit Daumen und Zeigefinger von den Rispen ab, während Josh und Lotta sich neben mir durch den Wald schnüffeln. Zu Hause lasse ich die kleinen Flöhe durch ein feines Sieb rieseln. Die Spelzstückchen, die sich mit durch das Sieb mogeln, lassen sich behutsam wegpusten. Übrig bleiben die kleinen Minipünktchen, die im Magen und im Darm feste aufquellen und dann sogar allergieauslösende Stoffe absorbieren. Flöhchen, ich verlasse mich auf euch!​

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Lecker ist das Habermus, wärmt den armen Magen und ich vertrage es wunderbar. Ab sofort habe ich keine geschwollene Zunge mehr, kein Sodbrennen, kein Grummeln im Bauch,- ein voller Erfolg! Dazu eine Tasse Dinkelkaffee. Das Hildegard-Frühstück funktioniert schonmal.

 

17. September 2024

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Bertram ist da!

Es sind ein paar schöne warme Stunden im Eselgarten. Weil ich jeden Tag schlapper werde, mäht ein Freund für mich die Wiese um die Hochbeete herum und ich bin schon wieder unendlich erleichtert, beglückt und dankbar. Er rattert kraftvoll durch den Garten, während die Hunde und ich in der Hängematte, nun ja, pacen.

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Das Einkaufen gestern hat offenbar zu viel Kraft gekostet. Aber: Ich habe Bertram bekommen, im Klosterladen im Nachbardorf, jaaha! Sag nochmal einer, ich lebte weitab vom Schuss.

Die erste Nase voll von diesem fremdartigen Gewürz begeistert mich gar nicht. Riecht säuerlich. Aber wenn's hilft?! Es soll die Verdauung regulieren und wie Salbei Fehlernährung ausgleichen, wenn man ein bis drei Messerspitzen über jedes Essen streut oder mitkocht.

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Jetzt warte ich noch auf Galgant. Er ist gerade aus und sorgt, wenn er dann da ist, bei Erschöpfung und Schwächezuständen für eine gute Durchblutung und Vitalisierung.

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Wunderbar, die beiden haben mir gerade noch gefehlt! Vielleicht könnte ich ja auch ein bisschen mehr ins Essen rieseln? Dann ginge es mit der Rekonvaleszenz, die die Reha-Ärztin ja treffsicher vorhergesehen haben will, vielleicht ein bisschen schneller?

Nein nein nein! Die Ursache aller Krankheiten ist die Maßlosigkeit, beim Essen, Trinken und unseren Lebensgewohnheiten. Schrieb schon Hildegard von Bingen vor 900 Jahren. Da fühle ich mich erwischt! Und genau dieses Maßhalten in allen Lebensgewohnheiten ist Pacing. Muss man üben, jeden Tag aufs Neue.

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Die Esel wissen, wie das geht, schlendern an meiner Hängematte vorbei, knabbern hier und da noch ein herabgesegeltes herbstlich gelbes Buchenblatt, bevor sie im Halbschatten der lichter werdenden Bäume in den Pausenmodus gehen. Wie gehabt: Kopf senken, Ohren abknicken, Unterlippe schlabbern lassen und Knie ausklinken. Genau wie ich in der Hängematte!

 

Der menschliche Rasenmäher da drüben hätte auch mal eine Pause verdient, säbelt aber weiter, bis die ganze Wiese ab ist. Dann gibt's zur Belohnung Salbei-Mäuschen für den fleißigen Feinschmecker und die schmecken überraschend gut.

 

18. September 2024

Tiere der Nacht

Verborgen!

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Es wird immer früher dunkel, die Abendversorgung der Esel findet mittlerweile in der Abenddämmerung statt. Auch so eine besondere Stimmung. Fledermäuse schwirren als Vorboten der beginnenden Nacht lautlos durch die Zweige der Bäume auf der Jagd nach Futter.

 

Wenn dann das Sichtbare weicht, treten Geräusche hervor: das gemächliche Kauen der Esel, ihre Schritte von einer Futterstelle zur nächsten, nicht schnell und nicht langsam, so richtig typisch gemaches Eselschreiten. Die Grillen im Gras und in den Bäumen.

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Und dann gibt es Geräusche, denen ich beim besten Willen kein mir bekanntes Tier zuordnen kann. Rufen, Wehklagen, Locken. Einen Kauz vermutet die Freundin aus dem Nachbardorf, mit der ich an diesem warmen Abend im Schein der Laterne vor der Hütte sitze. Das Tier stört sich überhaupt nicht an uns. Wir sind nicht so wichtig, wie wir Menschen immer denken. Ein wenig unheimlich ist das, wenn man kein Bild dazu im Kopf hat.

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Später zuhause im Bett - die Hunde und ich schlafen schon seit ein paar Wochen wieder im Wohnhaus - höre ich mir verschiedene Eulenrufe an. Josh dreht durch, als er den Ruf aus dem Smartphone hört. Es war tatsächlich ein Waldkauzweibchen bei der Herbstbalz. Hätte ich gern gesehen.

Wo es wohl tagsüber sitzt, wenn ich keinen Gedanken an die Tiere der Nacht verschwende? Schaut es mir dann verschlafen mir nur halb geöffneten Augen beim Eselfüttern und Gemüseernten zu? Hat der Rasenmäher es genervt? Und was denken die Esel, wenn das Käuzchen zu balzen beginnt? Sie sind miteinander vertraut, denke ich. Wie gut, dass Rosalie und Lotte sich nachts nicht in einem Stall langweilen müssen, sondern ihren nächtlichen Mitbewohnern begegnen.

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Die geheime Seite des Eselgartens.

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19. September 2024

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Apfelernte

Paradiesisch!

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Den Bauch gewärmt mit einer leichten Hildegard-Mittagsmahlzeit bin ich zurück im herbstlich sonnigen Eselgarten. Rosalie und Lotte, die mich sonst sofort umgarnen, haben es heute gar nicht eilig, ihr Futter zu bekommen. Eine leichte Brise weht immer wieder Herbstlaub von den Bäumen auf den Sandplatz herab. Das geht wahrscheinlich schon den ganzen Vormittag so, kommt dem fortwährenden Appetit der Esel wunderbar entgegen und macht sie so richtig schön satt!

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Es ist bestimmt auch schon der ein oder andere rotbackige Apfel vom Apfelbaum heruntergeplumpst und den Eseln unter dem Zaun hindurch entgegengekullert. Den lässt so ein Langohr mit erlesenem Geschmack ja nicht liegen, auch wenn er für einen eseligen Stoffwechsel viel zu viel Fruchtzucker enthält. Sie wirken tatsächlich etwas füllig um die Mitte herum...

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Der Apfelbaum trägt aber auch! Nach drei Jahren, in denen ihm die Gespinstmotte das Leben wirklich richtig schwer gemacht, Blätter und Knospen mit dichten Netzen verklebt hat, hängt er jetzt wieder voll mit riesigen Früchten. Seit Tagen schon ernte ich die, die sich leicht von den Zweigen lösen, und bringe sie ins Winterlager. Heute möchten ganz viele Äpfel runter vom Baum und es ist wirklich eine Freude, sie in der warmen Herbstsonne zu pflücken. Die Esel würden sicher gern helfen, wenn sie dürften.

Hildegard wäre jetzt genauso begeistert wie ich. Ich stelle mir vor, wie sie hinter mir steht und rezitiert:

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Die Frucht dieses Baumes ist zart und leicht verdaulich und schadet roh keinem Gesunden. Denn die Äpfel wachsen und erquicken sich am Tau der Nacht vom ersten Schlaf bis fast vor Tagesanbruch. Deshalb sind sie roh Gesunden gut zu essen, weil sie aus starkem Tau gekocht sind.

Kränklichen aber schaden rohe Äpfel etwas, weil diese eben schwächlich sind. Gekocht und gebraten sind sie gut für Starke und Sieche. Wenn die Äpfel alt und runzelig geworden sind, also im Winter, können Gesunde und Kranke sie gut roh essen.

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Ich zähle mich zu den Kränklichen und verzichte fortan auf frisches Obst. Gebraten, das klingt lecker! Unsere weihnachtlichen Bratäpfel sind ja eher Backäpfel. Ich rieche schon die Spalten in der Pfanne brutzeln, in geschmolzener Butter und karamellisierendem Honig, bestäubt mit einem winzigen Bisschen Zimt, während das Lottchen und ihr Bruder die Gehäuse wegbutzen. Morgen.

Für heute ist es genug.

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20. September 2024

Abendstille?

Esel Lotte schiebt ihre Nase ganz nah an den winzigen Lottahund heran, der sich auf meinen Arm geschmiegt hat. Die Pfötchen baumeln zu beiden Seiten herunter und sind für das neugierige Eselchen einfach unwiderstehlich anziehend. Sanft legt es sein rechtes Nasenloch um eines der weißen Hundepfötchen herum bis die weichen Härchen in der empfindlichen Nase zu kitzeln beginnen. Der Lottahund hält ganz still, er kennt das schon. Esel begrüßen die ihren eben mit Anpusten und Beschnuppern und wie Esel Lotte bin auch ich ein ganz großer Fan von Lottas einzigartigem Duft. 

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Wir schlafen heute mal wieder in der Hütte. Im Feriendorf findet eine Hundeinvasion statt. Zwischen den Sommer- und den Herbstferien kommen gern die Hundehalter dorthin. Es ist ja auch schön dort und vor allem autofrei. Zwölf Fellnasen zähle ich heute, allesamt sehr viel riesiger als meine beiden Winzlinge. Und weil so herrliches Wetter ist, sitzen sie natürlich mit ihren Menschen auf den Terrassen, wenn sie nicht gerade Gassi durch die Anlage streifen. Mein Alpha-Rüde hört sie alle, auch wenn ich uns drinnen bei geschlossenen Fenstern verschanze. Durch die Lüftung der Dunstabzugshaube, die wie ein Horchrohr wirkt. Sollte irgendwann ein neues Dach fällig sein, ist das verräterische Lüftungsrohr das erste, das zugebastelt wird. 

Josh wird immer hysterischer, fühlt sich bedroht und wufft sich die Angst aus dem Leib mit dem kleinen pochenden Herzen. Wenn es an körperlicher Größe mangelt, muss man das ja schließlich mit der Stimme ausgleichen, zur Abschreckung, Klappt leider nicht gut.

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Als wäre das nicht schon genug für den armen kleinen Kerl, treckert der Aufsitzrasenmäher um unser Haus herum und ist so unfassbar laut, dass Josh ganz besonders laut zurückjaulen muss, um ihn zu übertönen. Dabei erreicht er Frequenzen, die sogar das fast taube Lottchen hört und motiviert, feste mitzumachen.

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Deshalb der Eselgarten. Diese Ruhe!

Bis es dunkel wird. Das balzende Waldkauz-Weibchen. Josh... bellt, ist außer sich. Das Käuzchen hört tatsächlich auf zu schreien. Tut mir leid, Kleines, heute musst du mal auswärts balzen. Wie bleiben hier!

 

20. September 2024

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Biblische Esel

Mich wundert es überhaupt nicht, dass der Esel das Haustier Gottes ist. Beide sind liebevoll, geduldig, aufmerksam, stark und wissen, was sie wollen. Einer trug den Friedefürsten zu seiner Verurteilung nach Jerusalem. Jesus ritt nicht auf einem stolzen Streitross in den Kampf wie die römischen Besatzer, sondern ließ sich verspotten, foltern und töten. Er wollte nicht repräsentieren, beeindrucken, sondern die Menschen auslösen. Auf Seine Weise.

Ein Sonntagsausflug hat meine Schwester und mich in das Bibeldorf Rietberg geführt. Ich mag es sehr! Dort wurden Behausungen aus biblischen Zeiten auf der Grundlage archäologischer Forschungen rekonstruiert.

Überall dazwischen immer wieder Esel, Skulpturen aus Schrott, die  biblische Szenen nachstellen. Zunächst einmal natürlich den Esel als Alltagsbegleiter, als Lasten-, Zug- und Reittier. Dort drüben steht einer am Brunnen unter dem Joch, mit dem der Esel das Wasser durch das Drehen einer Winde aus dem Schacht zieht.

Und dann Bileam mit seiner Eselin. Das Tier mit den wachen, geradlinigen Sinnen sah den mächtigen Engel Gottes im Weg stehen, den der im Widerstreit seiner Gedanken und Gefühle versunkene Priester mit seiner unglücklichen Mission übersehen hatte.

Auch in den Ställen der Häuser kann man sich die Tiere gut vorstellen.  Im sogenannten Einraumhaus ist der erhöhte Schlaf- und Wohnraum nur durch zwei hohe Stufen aus groben Hausteinen vom ebenso kleinen Stall davor getrennt. Dort kamen Esel, Schafe oder ein paar Ziegen unter. Vollkommen logisch, dass da oben auf der beengten Wohnebene für Maria und Josef kein Platz mehr war, wenn erst alle Hausbewohner ihre Schlafmatten ausgerollt hatten! Aber die Schafe waren doch mit den Hirten draußen auf dem Feld. Also war noch Platz im Stallraum.

Hatten sie ihren eigenen Esel dabei? Nicht unwahrscheinlich bei einer so langen Reise von Nazareth nach Bethlehem. Ob sie wohl den leichteren Weg durch das unliebsame Gebiet Samarien wählten oder doch den beschwerlicheren aber sichereren Umweg durch das Gebirge auf sich nahmen?

Auch das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist nachgestellt. Mit einem Esel natürlich, auf dem er des Weges ritt, als er den von Räubern niedergestreckten Mann fand. Er suchte keinen Streit, sondern half.

Könnte ich doch nur meine beiden Schönen mal mit hierher bringen und ihnen das Dorf zeigen. Es käme mir vor, als würde ich sie nach hause bringen.

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22. September 2024

Nimm dein Bett und geh!

Nimm dein Bett und geh! sagt Jesus zu dem Gelähmten, dessen Freunde für ihn um Heilung bitten. Durch das Dach haben sie ihn in das überfüllte Haus abgeseilt, in dem Jesus lehrt, weil es so dermaßen überfüllt war, dass es niemand, aber auch wirklich niemand mehr zur Tür hineinschaffte. Sie wollen nicht mehr abwarten, ob sich vielleicht eine günstigere Gelegenheit für ein Treffen ergibt. Sie wollen HIER UND JETZT, dass er wieder laufen kann, in sein Leben. Der Evangelist Lukas schreibt darüber.

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So eine Dachluke gibt es auch im Einraumhaus des Bibeldorfes, so wie sie sehr wahrscheinlich ausgesehen hat: eine gerahmte Öffnung, im regnerischen Winter verschlossen mit lehmverschmierten Zweigen.

Eine Mitarbeiterin erklärt uns ihre persönliche Deutung des zentralen Satzes. Nimm dein Bett und geh! heißt für sie: Sitz nicht länger untätig herum, sondern ergreife deine Talente und mach etwas daraus!

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Zack. Das sitzt! Manchmal stechen Worte oder Sätze aus allen anderen hervor und so einer ist das jetzt. Ich verbringe nun mal viel Zeit im Bett, wenn das Wetter hängemattenuntauglich ist. Chronische Erschöpfung ist, ja, manchmal lähmend. Ich habe extra ein Gästebett in mein kleines Wohnzimmer gequetscht, um tagsüber nicht im Schlafzimmer liegen zu müssen. Dann erst würde ich mich bettlägerig fühlen. Aber trotzdem liege ich eben viel. Und da sagt Jesus so schlicht wie folgenschwer: Nimm dein Bett und geh! Ich stelle mir vor, wie ich mein Metallbett auseinanderschraube, es unter den Arm klemme und damit losmarschiere in ein ganz normales Leben. Wenn das jetzt wahr würde?

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Die Mitarbeiterin spricht weiter: Wenn du mit einem Talent nicht mehr weiterkommst, besinne dich auf ein anderes, denn du bist mit mehreren Begabungen gesegnet.

Das ist ein guter Gedanke. Ich war so bestürzt, dass ich meine Berufung als Seelsorgerin im Altenheim nicht mehr leben konnte. Aber irgendwas geht doch immer. Ich habe noch Aufgaben in meinem Leben, da bin ich ganz sicher. Seiner Berufung kann man nicht entgehen. Das mussten schon die Propheten Jona und Elija erfahren. Gott wählt nur manchmal Wege, die wir nicht verstehen.​ Inzwischen bin ich sehr gespannt darauf, welche Aufgaben das sein werden.

 

Bis sie sich mir offenbaren, nutze ich die Zeit, um mir Gedanken über die Umgestaltung meiner Einraum-Hirtenhütte im Eselgarten zu machen. Das Wohnkonzept hat mich nämlich überzeugt. Das wäre schon schön, - eine Erweiterung für die Esel dorthin, wo jetzt das hässliche Weidezelt steht, weil ich keine Baugenehmigung für einen festen Unterstand bekommen habe. Nur durch ein niedriges Mäuerchen vom Wohn- und Schlafraum getrennt, über das hinweg wir uns alle abends im Bett anschauen und eine gute Nacht wünschen. Gute Nacht Rosalie, gute Nacht Elisabeth, gute Nacht Lotte, gute Nacht Lotta, gute Nacht Josh... Josh würde durchdrehen, wenn Rosie und Esel Lotte ihre Nasen noch einmal neugierig herüberschöben, und der kleine Lottahund würde die ganze liebe Nacht lang versuchen, Eselküttel zu mopsen.

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22. September 2024

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Herbstzeitesel

Ein warmer Landregen fällt auf den Eselgarten, benetzt den kurzen Rasen, die Beete und die Esel. Auf die Ohren haben Regentropfen feuchtdunkle Punkte getupft. Die beiden Hübschen klappen sie im Regen halb herunter, damit es nicht hineinregnet. Auf dem Fell haben Rinnsale Spuren hinterlassen, - das feine Oberhaar zusammen geschoben. Der Regen ist zu schwach, um bis auf die Haut durchzudringen. 

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Rosalie ist zur Feier des Herbstanfangs mit einem bunten Blatt geschmückt. Es ist ihr vor das linke Ohr gesegelt und einfach da liegengeblieben. Hat sie noch etwas vor heute Abend? Außer dem üblichen Waldkauzsolo, dem Konzert der Grillen, dem Treffen mit dem Schnecken vertilgenden Waschbären und der Zirkusvorstellung des Mauswiesels, das hier lebt? Es huscht, wenn es still wird im Garten, wie eine Seiltänzerin über die langen Zweige von Baum zu Baum aufs Hüttendach. Was es dort oben treibt, bleibt im Verborgenen, aber man hört es geschäftig wirken.

 

Das Waldkäuzchen ruft heute Abend überraschend nicht. Vielleicht hat es einen Partner gefunden und ist zu ihm gezogen? Heute Morgen haben wir im Dämmerwald den Ruf eines männlichen Kauzes gehört...

Dabei hatte sich Josh gerade an die seltsame Melodie gewöhnt. Ich hatte ihm ganz vernünftig in einem Gespräch unter vier Kulleraugen erklärt, dass der kleine Eulenvogel da oben nicht mehr allein sein mag und deshalb so sehnsuchtsvoll klagt.

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Josh neigte sein Köpfchen mal nach rechts, mal nach links und schaute dabei ganz unerhört klug! Bestimmt hätte er den Vogel danach in aller Abendruhe oben in der Fichte direkt neben unserer Hütte balzen lassen. Und jetzt ist er futsch.

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23. September 2024

Regenwald

Ich hoffe, Familie Kauz hat ein trockenes warmes Plätzchen gefunden, denn der Eselsommer ist vorbei. Ganz eindeutig. Vorbei die Nächte in der jetzt feuchten Hütte, vorbei die Stunden in der Hängematte, das Draußen-Kochen: Die Regenzeit hat wieder begonnen, die es den Eseln seit über zwei Jahren so schwer macht, in unserer Gegend zu leben. 

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Trotzdem möchte ich sie noch nicht wieder in den Winterstall bringen. Soweit weg. Ich versuche, die Saison zu verlängern, das Weidezelt mit Pflanzsteinen rings um das Gerüst und Sandsäcken abzudichten, damit es nicht darunter herzieht. Schließlich ist doch das Winterfell meiner frierenden Langohren gerade mal seit sechs Wochen richtig weg und wächst erst langsam wieder nach. Jetzt warte ich ungeduldig auf die bestellten Gummimatten, auf die sich Rosie und Esel Lotte legen können, wenn die Nächte immer kälter werden.

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Trotz aller Schwierigkeiten: Ich mag den Regen. Ich mag die Geräusche der Tropfen auf dem Zeltdach, auf meiner Kapuze und auf den Blättern der Bäume. Ich mag das Funkeln der Wasserperlen darauf. Wie um alles in der Welt bildet Wasser auf Buchenblättern Tropfen und bleibt dann da liegen? Die Eichenblätter dagegen glänzen von einer hauchdünnen Wasserschicht überzogen, haben wohl eine andere Oberflächenbeschaffenheit.

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Ich betrachte, staune, versinke im zauberhaften Regenwald, während die Hunde hinter mir, ich muss es zugeben, gar nicht einverstanden sind, dass wir da im Regen herumstehen, obwohl ich ja nun wirklich überhaupt gar nichts für das Wetter kann. Sie parken auf dem durchnässten Weg, breitbeinig, gehen keinen Schritt freiwillig. Die Beine sind für Regenwetter einfach viel zu kurz,- die warmen Bäuche hängen tief über dem nasskalten Boden. Ruckzuck sind sie von unten pudelnass und schmutzig. Armes Lottchen, armer Josh.

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Dabei habe ich sie extra in ihre Pullis gesteckt, die ich im letzten Winter aus purer Langeweile gestrickt habe. Mit Zopfmuster, totchic! Aber damit kann ich bei den beiden ja nicht punkten. Sie fühlen sich unwohl, wie Wurst in der Pelle vermutlich, das kann ich ihnen ansehen. Dann lasst uns nach Hause fahren, ihr beiden.

 

Ich schnappe mir die tropfenden zarten Wesen, setze sie vorsichtig auf ihre saugfähige Kuscheldecke im Auto. Ein zärtlicher Streichler für jeden. Entschuldigung. Und doch. Ich mag den Regen.

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1. Oktober 2024

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Rösenbecker Eggeabtrieb

Meinen eigenen Almabtrieb in den Winterstall habe ich zwar erst einmal aufgeschoben, aber den Rösenbecker Eggeabtrieb feiere ich doch gerne mit. 

Als ein paar Rösenbecker vor 30 Jahren in Bayern einen Almabtrieb miterlebten, wollten sie unbedingt so etwas auch im eigenen Dorf auf die Beine stellen. Vieh war reichlich vorhanden und so hoben sie den Eggeabtrieb aus der Taufe. 

Da werden die Kühe und Bullen, mit Blumenkränzen geschmückt, durch das Dorf geführt und die Jungs, die diesen Job übernehmen, machen wirklich eine Challenge daraus. Denn das eher gemütliche Temperament der Kühe will nicht so recht mit dem der Jungbauern zusammengehen, die sich so gern beweisen möchten. Berittene Ponys und Pferde sind dabei, Mähnen und Schweife kunstvoll geflochten und durchwirkt, Hühner und Gänse auf liebevoll hergerichteten Wägelchen gezogen und Esel gehen auch mit, ganz ohne Schmuck und ich weiß genau warum! Ich habe selbst meine Esel zum ersten Almabtrieb mit blumenbestücktem Grünzeug gekränzt. Das hielt genau zwei Sekunden, bis sich die Tiere den Schmuck gegenseitig von den Hälsen fraßen. 

Dazwischen Erntewagen mit Kürbissen, Äpfeln, Kartoffeln und Heu, obendrauf räkeln sich ein entzückender Knirps und sein Rauhaardackel. Alle Menschen im Zug tragen Dirndl oder Krachlederne zu karierten Hemden, auch die ganz kleinen, und seltsamerweise sieht niemand damit verkleidet aus. Es wirkt geradezu so, als trüge hier jeder sonn- und feiertags ganz selbstverständlich Tracht.

Für die Kinder an der Strecke gibt es immer wieder Bonbons, kleine Küchlein, auch Obst, angeboten aus hübsch hergerichteten Körben. Die Mamas und Papas werden reichlich mit Likören versorgt, am Hühnerwagen gibt es natürlich Eierlikör. Ich erwische eine der erdig duftenden Ofenkartoffeln mit Kräuterquark, liebevoll serviert vom Kartoffelerntewagen herunter, auf dem sie frisch zubereitet werden. So schön!

Ziel des Zuges ist die Dorfhalle, die mit allerlei nostalgischem landwirtschaftlichen Gerät dekoriert ist. Eine Blaskapelle spielt dort zum Tanz auf, den erst einmal nur die Kinder wagen. Vor der Halle ein bezauberndes Kinderkarussell und man möchte hier am liebsten bis in alle Ewigkeit stehen bleiben, um den Kleinsten beim Freuen zuzuschauen, wenn man, ach, nicht seinen Klapphocker im Auto vergessen hätte.

Meine ukrainische Nachbarin, die mich mit ihrer Tochter begleitet, erhebt den Eggeabtrieb schon nach wenigen Minuten zu ihrem absoluten Lieblingsfest in Deutschland.

Das geht mir ganz genauso, auch wenn mir in der Halle die Kraft ausgeht und ich auf dem Weg zum Auto von der Anstrengung und den vielen Eindrücken körperlich und mental fix und fertig bin. Doch sind es ja gerade diese Eindrücke, die so wichtig sind, um die Lebensfreude zu erhalten.

Die kleine Maus jauchzt und schnattert auf der Autofahrt nach Hause ohne Unterlass: Dankeschön Lisa mit ganz viel kunterbuntem Kinderlachen zwischendurch, wenn ich antworte Bütteschön, Süße.

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5. Oktober 2024

Erntedank

Das ganze Jahr über feiere ich ein inneres Erntedank. Ich war begeistert, als es letztes Weihnachten eigenen Feldsalat gab und ab Februar konnte ich Spinat ernten. Leider musste ich im Winter trotzdem Gemüse zukaufen, weil Wühlmäuse die Roten Beten, die Wurzeln vom Grünkohl und vom Mangold aufgefuttert hatten, bis die Blätter welk und schlapp auf der Erde lagen. Diesen Schmarotzern ging es richtig gut bei mir in den herrlich warmen Hochbeet-Schlaraffen-Nestern, in die die leckeren Wurzeln direkt hineingewachsen waren.

Aber dieses Jahr habe ich sie mit Knoblauch vertrieben. Das mochten sie überhaupt nicht, und seit dem Frühjahr versorge ich mich wieder selbst mit Gemüse.

Nun sind ein paar Beete weitgehend abgeerntet, weshalb das große Umschichten begonnen hat, um die Miste in die Hochbeete zu leeren. Staunend halte ich die Erde in den Händen, die die Samen weckt und sie zu Lebensmitteln heranwachsen lässt, die letztendlich meinen eigenen komplexen Organismus am Laufen halten.

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Was sagte der Priester heute Morgen im Erntedankgottesdienst? Wir können gute Bedingungen für das Gedeihen von Getreide, Obst und Gemüse schaffen. Aber dass sie überhaupt wachsen, können wir nicht selbst machen. Das hat jemand anders in die Saat gelegt.

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Weil das Danken dafür so wichtig ist – es macht zufrieden und schafft gute Beziehungen untereinander und zum Schöpfer – gibt es Erntedankfeste in vielen Kulturen und Religionen. Dem jüdischen Volk wurde schon früh angetragen, für die Ernte zu danken, einmal zu Beginn der Getreideernte mit dem Fest Schawuot und am Ende der Weinlese mit dem Fest Sukkot (Ex 23,16).

Warum gibt Gott seinem Volk Erntefeste, wenn es gerade erst vor drei Monaten aus Ägypten geflüchtet ist, in der Wüste lagert und noch vierzig Jahre lang unterwegs sein wird? War es lang genug an einem Platz, um selbst Getreide auszusäen und zu ernten,- sogar Wein anzubauen? Warum nicht? In vier Jahrzehnten war auf dem im Verhältnis kurzen Weg von Ägypten nach Kanaan reichlich Zeit dafür.

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Ich selbst bin inzwischen auch an meinem sechzehnten Wohnort, ich habe immer ein etwas unruhiges Leben geführt, aber trotzdem ausreichend Zeit, die Ernte einzufahren. Der Einkochmarathon, mein erster, wenn man vom Marmeladekochen einmal absieht, hat begonnen. Im Vorrat stapeln sich schon Gläser mit Apfelmus, Zucchini-Curry und Zucchinisuppe, Zwetschgenmus und Zwetschgen pur. Diese Woche werde ich mit Mangoldsuppe nachlegen und dann die Birnen verarbeiten, die ich als Fallobst vom Feld stibitzt habe. Die Kürbisse – dieses Jahr bin ich den hungrigen Dieben vom letzten Jahr zuvorgekommen – sind längst eingelagert.

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DANKE dem Verpächter des Eselgartens, den Eseln, ihren Hütern in meinen Abwesenheiten, dem Eselgold, den fleißigen Krabbeltieren in den Beeten, abgesehen von den Wühlmäusen natürlich, und dem, der alles zusammenfügt!

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6. Oktober 2024

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Die Ruhe nach dem Sturm

Ach, du liebes Lieschen, denke ich, der Matsch im Eselgarten wird immer fieser! Im Licht meiner Stirnlampe wate ich den Eseln entgegen. Zum Glück ist ihr Fell trocken. Lotte kommt als erste und holt sich ihre Streichler, bevor Rosalie sich dazwischen drängelt und hingebungsvoll ihren staubigen Kopf an meiner Jacke reibt. Es hat wohl diese Nacht nicht mehr geregnet.

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Die erste Frühstücksportion bringe ich unter die Fichte am Ende des Eseltrails. Den habe ich rund um den Hundegarten und den Sandplatz herum abgesteckt, damit die beiden auf der doch recht kleinen Fläche möglichst weit laufen können und müssen. Dort unter der Fichte stehen sie gerne, von Westen gegen den Wind durch eine Buchenhecke geschützt. Sie können auch daran herumknabbern. Irgendetwas muss man ja schließlich tun, wenn man dort schon so herumsteht und in die Gegend guckt. Stelle ich mir ähnlich vor wie Chips beim Fernsehen.

 

Nachdem meine Eselchen dort jetzt den ersten Gang Heu frühstücken, wechsle ich ins Weidezelt, tauche zwei prall gefüllte Heunetze in einen Eimer frischen Wassers, hänge sie zum Abtropfen an den Karabiner darüber und fege den gepflasterten Boden, für den ich immer noch jeden Tag dankbar bin. Ein paar dicke Äste liegen hier gegen die Langeweile in ungemütlichen Nächten und sie haben deutlich sichtbare Nagespuren. Ich freue mich, dass die Esel sich zu beschäftigen wussten. Es kann ja schließlich nicht jede Nacht ein Wildtier zur Unterhaltung vorbeikommen und die Esel schlafen nun mal nachts nur drei bis vier Stunden.

 

Die Heunetze sind schnell an die Futterstellen im Zelt gehängt. Dann knipse ich meine Lampe aus und horche in die Dunkelheit. Der Hahn des Nachbarn beginnt zu krähen. Zu spät, mein Lieber, ich bin schon lange wach. Da höre ich meine beiden Wattläufer den Trail hinaufkommen. Wie das quatscht, wenn die Hufe in den Schlamm hineinsinken und noch mehr, wenn sie sie wieder herausziehen. Der Boden saugt sie an.

 

Ein Schnauben, Hufe setzen ganz nah auf festen Boden. Die Esel sind da! Die Schnuten rasch in die Netze gedrückt, höre ich sie schon bald zupfen, malmen, kauen. Kaum etwas anderes kann mich morgens so zufrieden machen, wie im Dunkeln an die Zeltwand gelehnt zu stehen oder zu sitzen und diesen sanften Tieren beim Futtern zuzuhören.

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11. Oktober 2024

Schlafende Hunde

Nur der Duft meiner gerade erwachenden Hunde kann mit der Melodie futternder Esel vor Tagesanbruch mithalten. Wenn ich noch im Dunkeln vom Eseln heimkomme, heben die beiden verschlafen ihre Köpfchen aus den Hügeln meiner Bettdecke hervor. Ist die Lisa aus dem Haus, hopsen die Hunde ins Bett.

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Aus seinen Tiefen schauen sie mich nun mit ihren Knopfaugen an. Ist schon Morgen? Liebe flutet mein Herz, die beiden haben das Kindchenschema so dermaßen drauf und wissen es nicht einmal.

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Wenn sie sich dann zu strecken beginnen, verströmen sie diesen einzigartigen Duft nach kleinem Hund, der so rasch verfliegt. Schnell schnappe ich mir das weiche Lottchen und tauche meine Nase in ihr Fell. Diesen Geruch habe ich schon geliebt, als sie als kleines Flauschebällchen zu mir kam.

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Nachdem beide ihr Futter bekommen und draußen eine Runde gedreht haben, krabbeln wir zusammen wieder ins Tagesbett. Wir können noch zwei Stunden kuscheln - pacen! - bis ich zum Arzt aufbreche.

 

11. Oktober 2024

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So fühlt sich Leben an!

Was in der letzten Septemberwoche zaghaftes Hoffen war und die erste Woche im Oktober mit ungläubigem Erstaunen füllte, wurde in der letzten Woche zur Gewissheit: ich habe neue Kraft, laufe statt der 50 Meter 500 und mehr, ohne dass es zu einer Symptomverschlecherung käme. Ich könnte jubeln!

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Heute Morgen habe ich beim Arzt meine Stöcke dabei, aus lauter Gewohnheit, springe auf, als mein Name aufgerufen wird, bevor ich mich daran erinnern kann, dass ich mich doch eigentlich seit anderthalb Jahre erhebe.

 

Die gute Laune kribbelt im Bauch wie Brause und ich lade mich zu einer Falafeltasche vom Dönermann neben der Praxis ein. Ich werde sie am Wanderparkplatz oberhalb des Feriendorfes genießen, die Beine auf dem Tisch, den Blick abwechselnd ins sonnenbeschienene Dorf unter mir und ins Buch, das ich gerade lese: Astrid Lindgren. Ein biographischer Roman von Susanne Lieder. Sie vermag das immerzu Kindliche der Schriftstellerin zu beschreiben, die zum 80. Geburtstag ihrer Freundin mit dieser um die Wette auf Bäume geklettert sein soll! Das will ich auch und spüre die Kraft in mir. Morgen.

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Jetzt will ich möglichst schnell zu meinen Hunden, sie teilhaben lassen an der neuen Energie. Dazu fahre ich uns auf die andere Seite des Tals. Ich möchte den Eselgarten von dort aus sehen. Wir marschieren los, schon seit drei Wochen geht das ohne Hocker, und drehen eine komplette Runde um die Felder. Wann habe ich das zum letzten Mal gekonnt? Es will mir nicht einfallen. Die Hunde sind begeistert, rennen, schnüffeln, kommen zurück, rennen wieder los. Vorwärts, immer vorwärts!

Nimm dein Bett und geh! Es ist wahr geworden.

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Am Abend trabe ich vor den Hunden her, feuere sie an statt mich von Josh ziehen zu lassen. Ich jogge. Hundert Meter bergab Richtung Eselgarten. Ja und? Ich JOGGE! Aus purem Übermut, wie noch vor Kurzem ersehnt.

So fühlt sich Leben an!

 

11. Oktober 2024

Sonnensturm

Welch phänomenaler Abschluss meines großen Tages! Auf der anderen Seite der Welt wirbelt die Sonne unfassbar heiße geladene Flammen ins All, von denen Teilchen in das Magnetfeld der Erde eindringen. Und das lässt den Himmel über dem winzigen Altenautal rot, blau, grün und lila aufschimmern?​

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Die Tatsache, dass erstmal nur meine Kamera ein rotes Leuchten sieht, schmälert die Freude zunächst gewaltig. Es ist doch bestimmt der Wiederschein der -zig roten Windrad-Warnleuchten über den Wipfeln?

Ach was soll's. Ich fahre auf den Goldrausch-Hügel und da werden die Fotos rundum bunt. Das hat nichts mehr mit roten Warnleuchten zu tun. Das sind Polarlichter!

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Als die Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen, erfassen auch sie das bunte Schimmern an den Horizonten ringsum. Der Himmel feiert das Ende meines Reha-Crashes! denke ich und feiere da oben auf dem Hügel mit, bis meine Finger eiskalt und steif sind. Wenn die Temperatur bis kurz vor Sonnenaufgang noch um ein paar Grad fällt, kann ich morgen süßgefrorenen Grünkohl essen. Arme Esel. Hoffentlich reicht ihr Pelz, um sich nicht zu verkühlen.

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Ich fahre schnell noch einmal hinunter, es ist schon kurz vor Mitternacht, werfe etwas Heu unter die Fichte. Dann haben sie wenigstens etwas zu tun, während ich schon wieder an den Zäunen stehe und knipse. Als mir die beiden dann vor die Linse laufen, entsteht ein unwirkliches Bild. Die beiden Grauen, leider verwackelt, vor sich farbloses Nichts, hinter sich einen dünnen roten Schleier. Der Sonnensturm leuchtet in den Eselgarten hinein.

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Im Wald höre ich es Uuuuuuhu! rufen, in meinem Waldgarten schließt sich das Käuzchen an. Sie sind gute Restlichtverwerter, genau wie die Esel. Wie sie wohl die bunten Lichter wahrnehmen? Stärker als ich, soviel ist klar.

Durchgefroren fahre ich nach Hause, überlasse das sensationelle Himmelsspektakel den Tieren der Nacht und fabriziere meinen eigenen kleinen Feuersturm im Holzofen, um wieder warm zu werden. Glückseligkeit!

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11. Oktober 2024

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Birnenmus

Die Birnen habe ich nach einer stürmischen Nacht vom Acker am Eselgarten gesammelt, schlammverkrustet, aber fest und groß, wie so viele Früchte in diesem Jahr.

Weil sie noch sehr hart sind, lagern sie erst einmal im Vorrat. Jetzt haben sie aber doch einige faule Stellen bekommen. Vielleicht liegen sie zu dicht an den Äpfeln?

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Höchste Zeit, sie zu verarbeiten. Ich stelle mir Birnenmus vor, weil ich es so praktisch finde, morgens Fruchtmus ins Frühstücksmüsli zu rühren statt das Obst noch schneiden zu müssen.

Hildegard von Bingen empfiehlt ohnehin, alles, was man isst, zu kochen. Rohkost ist gar nicht ihr Ding, bezeichnet sie sogar als Küchengift. Deshalb verwende ich für mein Habermus inzwischen Apfelmus, von dem ich reichlich eingekocht habe. Aber ich wünsche mir Abwechselung und Birnen sind zwar laut Hildegard nicht ganz so gesund wie Äpfel, aber doch auch gut:

Weil sie nur vom zerrinnenden, also schwächeren Morgentau wachsen, verursachen Birnen im Menschen schädliche Säfte, wenn die nicht gekocht werden zitiert Wighard Strehlow die Mystikerin in seinem Buch DIE ERNÄHRUNGSTHERAPIE DER HILDEGARD VON BINGEN. Und ergänzt die gewichtigen Worte: Besonders in Kombination mit Bärwurzmischpulver und Honig ist Birnenmus das beste Reinigungsmittel gegen Darmpilze. Damit ist die Sache entschieden!

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Innerhalb einer Stunde ist unter sachkundiger Beobachtung eines kleinen weißen Hundes ein Berg Birnen gewaschen, geschnippelt und füllt meinen allergrößten Topf bis obenhin. Das ewig hungrige Lottchen hat schon ein paar Kerngehäuse abgestaubt, bis mir durch den Kopf geht, dass rohe Birnen einem kleinen Hund vielleicht genauso wenig bekommen wie dem Menschen. Also keine Butzen mehr, tut mir leid, Lottchen. Darf es stattdessen gleich ein Klecks Birnenmus sein?

Als die Birnen weich werden, tauche ich den Passierstab hinein. Eine zartgelbe schaumige Creme steigt an die Oberfläche. Ich habe alles richtig gemacht!

In Weckgläser gefüllt und sorgfältig verschlossen lasse ich den Brei eine Stunde lang in siedendem Wasser einkochen. Der Platz im Vorratsregal wird schon ganz schön knapp, aber sechs große Gläser von dem fruchtig süßen Mus dort unterzubringen, macht mich schon wieder richtig glücklich!

 

Und mein kleiner Schatten folgt mir auch hierher bei Fuß, denn man weiß ja nie, ob nicht doch noch etwas von dem appetitlich duftenden Mus heruntertropft, geradewegs ins Mäulchen hinein.

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12. Oktober 2024

Fremd gegangen

Eselin Paula vom Kastanienhof liebt es, in den Ohren gestreichelt zu werden! Während ich die so hübsch gezeichnete Eseldame verwöhne, schiebt Langohr Kalli unmissverständlich sein Hinterteil an mich heran. Es gibt da ein paar Stellen auf seiner Rückseite, die jetzt ziemlich dringend geschubbert werden müssten. Also müssen Paulas Ohren notgedrungen zurückstehen. Oder findet sich eine Streichel-Vertretung unter den anderen Gästen? Es sind allesamt Post Covid-Betroffene, die sich hier bei den Eseln getroffen haben, um Paula, Kalli, Susi und natürlich sich selbst gegenseitig kennenzulernen.

Das süße Susi-Muli gibt sich schüchtern, obwohl es mit seinen großen braunen Augen so hinreißend dasteht, dass man es immerfort knuddeln möchte. Und eigentlich will es auch genau das, wenn man der Eselhalterin Glauben schenkt. Da möchte man dann gern in so ein Eselköpfchen hineinschauen. Fasziniert da gerade ein besonders hübscher Knopf bis zur Bewegungsunfähigkeit oder hat vielleicht eine unserer Jacken einfach die falsche Farbe? Man weiß es eben nicht.

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Die WhatsApp-Selbsthilfe-Gruppe ist zur Eselzeit eingeladen und obwohl diese Tiere wirklich herzallerliebst sind, treibt uns doch ein penetrant scharfer kalter Wind an die Kaffeetafel in der warmen Stube des Erlebnishofes, auf dem sich bis zur Erkrankung der Gastgeberin zahlreiche Tierarten getummelt haben. Der Erlebnishof ist Geschichte. Corona eben.

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Jede von uns hier hat eine andere Geschichte und doch haben wir eines gemeinsam: nach der Infektion sind wir nicht wieder gesund geworden. Ein kostbarer, lustiger Austausch entspannt sind bei Kürbiskuchen und Keksen, bis ich plötzlich nicht mehr verstehe, was die anderen sagen. Da redet jemand, ja, das bekomme ich mit, erfasse aber den Sinn der Worte nicht mehr. Schwindel lässt mich nach der Tischplatte greifen, obwohl ich eigentlich ganz bequem sitze. Verflixt, mein Gehirn ermüdet nach wie vor viel zu schnell.

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Auf dem Weg nach Hause - ich habe mir wie immer ein paar Parkplätze zum Ruhen ausgeguckt - fällt mir wieder ein, dass ich mir Fencheltee mitgebracht hatte, weil ich Kaffee doch gar nicht mehr vertrage. Hatte ich ganz vergessen. Und eigentlich hatte ich auch Butterbrote beisteuern wollen, weil mir süßer Kuchen ja auch nicht mehr bekommt. Die Schokoladeneiscreme vorgestern war ein Ausrutscher, ehrlich! Aber ich hatte es nicht geschafft, den Einkauf zu planen. Also gab es keine Schnittchen und die Kuchen schmeckten wirklich gut. Ich bin wieder weit entfernt von GESUND.

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Nun quält sich mein armer Bauch fürchterlich und trotzdem war diese Zeit im Lippischen so schön und besonders: nicht als einzige krank zu sein, ohne Erklärungen verstanden zu werden, Erfahrungen auszutauschen und sich Hals über Kopf in fremde Esel zu verlieben! Es ist einfach so passiert...

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13. Oktober 2024

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Saatgut

Eines der großen Hochbeete ist wieder startklar. In den letzten Wochen abgeerntet und frisch aufgefüllt, habe ich die Samen der letzten Roten Melde ausgesät, die Nüsschen von Feldsalat und Spinat und dicke Knoblauchzehen dazwischen gesetzt, die bis zum nächsten Sommer zu prallen Knollen heranwachsen sollten. Sie werden vor der winterlichen Wachstumspause einen ordentlichen Vorsprung mitnehmen können so wie die frostharten Puffbohnen, die ich vor vier Wochen in die Erde gelegt habe und die schon zehn Zentimeter hoch gewachsen sind.

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Während ich dem guten Gefühl nachspüre, die Saat für das nächste Gartenjahr gelegt zu haben, macht sich das Hunde-Lottchen über den achtlos abgestellten Mistboy her. Zwar habe ich ihn schon in das nächste freie Hochbeet geleert, aber es bleiben immer noch ein paar leckere Reste drin, die man als vernachlässigter kleiner Hund herausknibbeln kann, um bis zur nächsten Fütterung zu überleben.

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Als sie aufgegessen hat, bin auch ich fertig mit der Arbeit im Beet und setze mich mit ihr und Josh vor der Hirtenhütte in die Sonne. Die Esel schlendern auf ihrem Trail um uns herum, die Nasen tief über dem laubbesprenkelten Boden.

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Die Kraft von letzter Woche hat nicht lange angehalten, der Akku hat sich heute wieder rasch entleert und nun sitze ich also hier und komme nicht mehr so richtig weg. Muss ich ja auch nicht.

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Auch die anderen Betroffenen aus der Selbsthilfegruppe berichten von Tagen oder sogar Wochen gänzlich ohne Symptome und ihrem abrupten Ende. Wenn man seine Enttäuschung darüber erst einmal überwunden hat, sind die guten Tage kostbare Erinnerung und nähren die Hoffnung auf zukünftige.

Wie die Saat, die sich in der Dunkelheit des Gartenbodens daran erinnert, was sie einmal war und wie sie wieder sein wird. Aus der in sie eingeschriebenen Kraft heraus im Zusammenspiel mit Wärme, Licht, Wasser, Halt und Nahrung. 

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Und was sagt Josh dazu? Er sitzt schon seit Minuten gerade aufgerichtet vor mir und schaut mich durchdringend an. Seine beredten Augen sagen mir: Hör auf zu philosophieren. Geh mit uns in den Wald! - Recht hast du, mein Kleiner, in einer halben Stunde, ja?

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16. Oktober 2024

Herbsthimbeeren

Josh bremst am Himbeerbeet. Sanft möchte ich ihn weiterlocken. Nun komm schon, mein Kleiner. Ich möchte doch die Esel füttern. Sie stehen schon am Zaun und schauen ganz hungrig aus.​

Aber Josh bremst, reckt die Nase in die Höhe, vor der die herrlich roten Herbsthimbeeren von einem dünnen Zweig herunter baumeln. Er peilt die verführerisch süßen Früchte an, hopst ein paar Mal in die Höhe und erwischt tatsächlich den Stängel, von dem prompt ein paar reife Beeren herunterpurzeln.

Sie zu greifen ist für Josh nicht so einfach. Er hat einen gewaltigen Überbiss, über einen Zentimeter tief, was bei seiner kleinen Schnute eine ganz beachtliche Menge ist. Aber er weiß sich zu helfen, sucht sich die Beute aus dem Gras. Solange müssen die Stuten eben warten.​

Eine Himbeere ist dem Lottchen geradewegs in den Nacken geplumpst. Sie riecht sie wohl, schnuppert aufgeregt nach der Köstlichkeit, doch bevor sie sie orten und herunterschütteln kann, hat Josh sie ihr schon vom Rücken gemopst.​

Die Himbeerrute hat sich inzwischen, um ein paar Beeren leichter, so weit aufgerichtet, dass wirklich kein Biewer-Yorky der Welt mehr heranreicht, auch nicht durch Hüpfen. Darum neige ich sie vorsichtig, damit sie nicht bricht, dem Lottahund entgegen. Die ewig Hungrige schnappt gleich ein paar Mal hintereinander zu, bis die roten weichen Kugeln in ihrem fast zahnlosen Leckermäulchen hängenbleiben.​

Als alle Beeren aufgefuttert sind, bekommen die Esel endlich ihr Heu.​

Sie sind, ehrlich gesagt, unter den Hüften ziemlich pummelig geworden. Da hängen Pölsterchen, die Rosies langen Rücken herunterziehen, und Lotte leidet schon seit Jahren, wie so viele Langohren, an einem Speckkamm, der zu kippen droht. Wenn das passiert, reißen die Sehnen, die den Kamm gerade halten sollen. Das muss furchtbar wehtun und darf deshalb auf keinen Fall passieren.​

In letzter Zeit habe ich das Heu nach Augenmaß zugeteilt, nicht mehr abgewogen. So kann man sich vertun. Oder liegt es an dem Herbstlaub, das sie jetzt kaum noch bewältigen können? Warum auch immer, werden die beiden auf Diät gesetzt. Sie bekommen jetzt jeden Tag ein klitzekleines bisschen weniger Heu, bis sich Gewicht und Futtermenge wieder aufeinander eingependelt haben.

Und die Hunde dürfen Himbeeren futtern? Das ist ja super ungerecht!

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20. Oktober 2024

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Himmel un Ääd

Als meine Schwester und ich noch klein waren, hat unsere rheinische Oma zum Mittagessen Himmel un Ääd für uns gekocht. Heute möchte ich das typische Herbstgericht mal selbst fabrizieren. Dazu habe ich mir den Gaskocher aus der Hirtenhütte mit ins Wohnhaus genommen, denn die Sonne scheint warm auf die Terrasse und bringt die Bäume ringsum in den schönsten Herbstfarben zum Leuchten. Deshalb möchte ich unbedingt draußen kochen!

Die Kartoffeln, die dem Essen einen Teil seines Namens geben, und Zwiebeln habe ich vom Biohof besorgt. Für eigene Kartoffeln hatte ich nämlich in diesem Jahr keinen Platz in den Beeten und Zwiebeln glücken mir seit zwei Jahren überhaupt nicht mehr. Sie treiben Blüten, die den Knollen alle Kraft entziehen und die Stängel werden dick und hart. Das sollte eigentlich erst im zweiten Jahr nach der Pflanzung passieren, wenn man die Zwiebeln nicht vorher erntet.

Leider hat unsere Oma kein Rezept hinterlassen, aber ich stelle es mir nicht allzu schwierig vor und notfalls kann man ja auch im Netz spieken.

Ich nehme also eine kleine Birne und einen dicken Apfel, die für den Himmel stehen, und schneide sie in Stücke, die ich mit etwas Zucker in Zitronenwasser koche, dann abgieße und mit Vanille aromatisiere. Das habe ich bei Björn Freitag im Kochstudio abgelinst. Hat Oma bestimmt nicht so gemacht.

Dann koche ich sechs Kartoffeln, stampfe sie mit Milch, kalter Butter, Salz, Bertram und Pfeffer und hebe die Obststückchen darunter.

Obendrauf kommen zwei gewürfelte Zwiebeln, die ich mit getrockneten, zerbröselten Beifußblättern in Öl geröstet habe. Sie geben dem Gericht die fehlende salzige Komponente.

Ob es bei meiner Oma Röstzwiebeln zu Himmel un Ääd gab, wissen meine Schwester und ich nicht mehr so genau.

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Es schmeckt, nur nicht nach Oma und Kindheit. Das Geschmacksgedächtnis will nicht anspringen. Aber dann erinnere ich mich doch nach und nach an den grün gestrichenen Küchentisch, an dem wir auf der Eckbank mit den roten Sitzkissen saßen. In die Tischplatte war Linoleum eingelassen. Am Fenster hingen längst vergessene rot geblümte Gardinen, in der Küchenzeile stand der Kohleofen, mit dem die Küche geheizt wurde. Oma trug immer einen Kittel, wenn sie auf dem Gasherd in dem schönen alten Haus im Kohlenpott kochte. Und die Küche hatte eine Vorratskammer, wie ich sie mir heute wieder wünschen würde, dunkel und kühl mit einem winzigen Fenster zum Lüften gegenüber der Tür. Wie lange habe ich nicht mehr daran gedacht! Das Haus gibt es schon seit 48 Jahren nicht mehr. Wie schön, dass es beim Gedächtnis-Kochen langsam aber stetig mit der einen oder anderen Kindheitserinnerung noch einmal ins Bewusstsein steigt.

 

22. Oktober 2024

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