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GESCHICHTEN AUS DEM ESELGARTEN

ab 10. Juni 2025

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Fellpflege

Das ist Fellpflege, sagt der Hufschmied, als ich ihm von meinem Friseurtermin bei Lotte erzähle.

Ja natürlich, hätte ich drauf kommen können! Wie oft schon habe ich Rosalie und Lotte beobachtet, wenn eine der anderen während des Fellwechsels den Kopf auf den Widerrist legt und mit den Zähnen massiert, synchron, im gleichen Rhythmus, perfekt aufeinander abgestimmt wie in einem Tanz.

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Hatte Lotte den Eindruck, mein Winterfell bräuchte Hilfe, sich zu lösen? Hat es zum Glück nicht getan. Aber das Eselchen hat mir gezeigt, dass ich zu seiner Herde gehöre, ein enger Sozialkontakt für sie bin. Welch wunderschönes Kompliment.

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So ein wichtiger Sozialkontakt ist sie - sind die Esel - ja auch für mich. Die wortlos bedächtige Kommunikation zwischen uns fällt mir in meiner Krankheit leichter als die komplexere mit Menschen. Das ist schlimm genug, aber dabei ist es doch ein Segen, dass ich sie habe, die Esel.

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10. Juni 2025

Rosenmonat Juni

Der Juni, Übergang vom Frühling zum Sommer, voll süßer Düfte, ist der Monat, in dem die Rosen zum ersten Mal aufblühen.

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Der Bewohnerin im Altenheim - es ist wieder mein persönlicher Tag des Ehrenamts - bringe ich eine geöffnete Blüte zum Schnuppern mit. Ihr Tag wird von keiner Mahlzeit strukturiert, kein Essensduft zieht durch ihr Zimmer, nur das gleichmäßig getaktete Geräusch der künstlichen Ernährung. Sie liegt im Bett, die Gedanken weit weg wandernd an diesem anregungsarmen Morgen, der vielen anderen Morgen gleicht. Was erlebt sie in der Welt, die ihre Phantasie erschaffen muss, wenn sie an die Decke schaut?

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Geduldig lasse ich ihren Blick mein Lächeln finden.

Guten Morgen sage ich, als sie mich wahrnimmt, spreche sie freundlich mit Tageszeit und Namen an. Pause.

Draußen wird es Sommer. Pause.

Die Rosen blühen. Pause.

Ich habe Ihnen eine mitgebracht. Pause.

Die Blume vorsichtig unter die Nase gehalten, zieht die Dame erstaunt die Augenbrauen hoch, es duftet schön!

Sie möchte jetzt so gerne etwas sagen, aber den Sprechwerkzeugen gelingt kein Wort. Und doch: sie ist für diesen Moment wieder im Hier und Jetzt angekommen.

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Die Rose lege ich neben sie auf ihr Kopfkissen, damit der Duft noch in der Nähe bleibt, wenn ich ihr einen LIEBESBRIEF aus dem Buch von SARAH YOUNG vorlese: ICH BIN BEI DIR.

Ihre Mimik, ihr zugewandter Muskeltonus zeigen, dass ihr der Brief gefällt. Wer möchte nicht geliebt werden? Und sie braucht jemanden, der in den Stunden der Einsamkeit zwischen Pflege und Betreuung bei ihr ist.

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Leise spielt JULIAN LENNON Musik von meinem Handy: I did it my way, damit sie ihren Gedanken nachfühlen kann. Danach verabschiede ich mich. Mehr braucht es gerade nicht.

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10. Juni 2025

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Ein Koffer im Eselgarten

Die Nächte werden wärmer und trockener. Es ist an der Zeit, wieder die Hütte im Eselgarten zu beziehen. Vorräte habe ich schon hingebracht, Waschzeug, Bücher, ganz wichtig, und eine Brille, ganz besonders wichtig. Heute werde ich ein Köfferchen Kleidung packen, das ich unter dem Bett verstauen kann.

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Frühstückst du manchmal hier? fragte das Kommunionkind, das einen Eselspaziergang geschenkt bekommen hatte. Ihm gefiel meine Sitzecke vor dem Hüttchen so gut.

Ja, genau, ich frühstücke manchmal hier und fange genau heute wieder damit an. Meine Gallenblase hat sich endlich beruhigt, die Schmerzen sind spürbar zurückgegangen und die Laune bessert sich. Mir läuft eben nicht mehr die Galle über. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!

Ich besorge Brötchen, Butter, Honig und schlage damit so richtig über die Stränge mit Weizen, Fett und Süße! Es ist eine Lust, obwohl mir mein eigenes Brot eigentlich viel besser schmeckt. Habermus habe ich auch gemacht, bleibt aber heute unberührt stehen. Ich muss einfach mal etwas anderes schmecken.

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Schmecken. Wenn das wegfiele wie bei der Bewohnerin mit der PEG... Ich kann es mir überhaupt nicht vorstellen und halte hiermit fest, dass ich auf keinen Fall künstlich ernährt werden möchte, wenn ich alt bin und es keine begründete Aussicht auf Gesundung mehr gibt.

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12. Juni 2025

Hundeparfum

Was für ein müder Tag, gleich zweimal bin ich heute für eine gute Stunde eingeschlafen, einmal heute Vormittag und noch einmal am frühen Nachmittag. Weil es den Hunden auch nicht anders geht als mir, wird es wohl nicht an der Chronischen Erschöpfung liegen, sondern eher an der drückenden Schwüle der letzten Tage, auch wenn sich gestern Abend die Backofenatmosphäre in einem Unwetter vorerst entladen hat. Es kreierte am Eselstrand ein spannendes Wattenmeer mit Prielen und Wanderdünen.

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Jetzt ist es wieder trocken und an der Zeit, die müden Muskeln vor dem abendlichen Schlafengehen nochmal ordentlich zu strecken, wach zu werden: wir machen Eselgartenyoga! - Wir?

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Das Lottchen und Josh eilen zwar sofort mit mir zur gerade ausgerollten Matte, lümmeln sich dort aber nur ein. Schlafmützen, hier wird geturnt! Ich quetsche mich zwischen die beiden, Yogisitz, Liegende Frau, Umkippende Lisa. Nach jeder Um-Stellung, die die Hunde sanft aufscheucht, bucken sie wieder an und sind dabei leider dauernd im Weg. Also, genaugenommen bin ja ich ihnen immer wieder im Weg, es ist heute so fürchterlich ungemütlich mit mir!

Dabei können die beiden den Hund ja viel besser als ich, sogar Esel Lotte beherrscht ihn. So süß sieht sie aus, wenn sie die kleinen Vorderhufe gaaanz waaait nach vorne streckt, Ohren, Kopf und Brust tief in die Rückenstreckung senkt und der Popo der höchste Punkt des Eselchens wird.

Rosie und sie stellen sich jetzt geschlossen an den Zaun und verfolgen gespannt, was ich da mache. Bemerke ich Unverständnis? Nein, es ist bestimmt nur Neugier, es gibt mal etwas Neues zu sehen.

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Jetzt noch schnell die letzte Hunderunde mit Lotta und Josh zur nächsten Bank an der Altenau. Die 400 Meter schaffe ich heute schon zum zweiten Mal. Liegt bestimmt am Yoga.

Beim Zurückschlendern freue ich mich auf einen gemütlichen Abend vor unserem Sommerhaus mit Heißgetränk und dickem Schmöker aus der Bücherzelle. Aber der kleine Joshi durchkreuzt meinen schönen Plan. Er hat unseren Ausflug nämlich leider dazu genutzt, sich in etwas sehr unangenehm Riechendem zu wälzen. So rundherum glücklich und mit sich zufrieden mieft er seinen neuen Duft heraus. Oh nein, mein Kleiner, so kommst du mir nicht in die Hütte, puh, Josh muss baden! Als er in der Schüssel kauert, warmes Wasser und Schaum sein Fell durchtränken, liegt tiefstes Bedauern in seinem Blick:

Es hat so gut gestunken!

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15. Juni 2025

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Glücklicher Familienbesuch

Sieben Uhr abends. Erst! Trotzdem möchte ich jetzt bitte schlafen. Alle Körpersysteme sind weit in der Reserve, ich habe meine Kraft falsch eingeschätzt, schon wieder.

Dabei war es ein so schöner Tag mit sehr nettem Besuch im Eselgarten. Der Vierjährige kam mit seiner Babyschwester, der Mama, ihrem Freund und der Oma zum Eseln und bremste erst einmal am Zaun. Tiere, die mindestens so ungefähr doppelt so groß sind wie man selbst, beobachtet man ja besser erstmal auf Abstand. Wer weiß schon, wie die so drauf sind! Doch es dauert gar nicht lange, da schleppen wir schon zusammen das Futter quer über den Eselstrand, verfolgt von hungrigen Equiden, zum Treckerreifen und schwubbs sitzt der Junge auf dem Rand und reicht den riesigen Langohren fachmännisch das Heu.

Anschließend muss er sogar hopsen, weil er von oben bis unten und rundherum so voll mit Glück ist, dass er es kaum aushält. Wenn das Herz hüpft, muss der ganze kleine Junge mithüpfen, was soll er machen? Gut, dass ein Hängesessel im Kirschbaum baumelt, in den man hineintoben kann. Und weil das noch nicht ganz reicht, klettert er übermütig in die Hängematte, die zwischen den Buchen zappelt, bevor er drunterher zurück zu Rosie und Lotte krabbelt. Sie haben sein Herz erobert.

Überhaupt nicht anstrengend ist diese nette, unkomplizierte Familie,- willkommen in meinem Leben.

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Auch das Lieblingsnachbarkind, das mich nach einer Pause im Wohnhaus besucht, spielt ganz ruhig mit meinen Puppen Schlafengehen, zieht ihnen die Kleider aus, die ich letztes Jahr für sie genäht habe, und kuschelt sich zusammen mit ihnen unter die Sofadecke.

Zack, Stecker gezogen, Kraft futsch. Ich bringe das Kind auf dem Weg zum Auto nach Hause, muss mich dort das erste Mal auf die Treppenstufen setzen, weil ich die 80 Meter zum Parkplatz nicht schaffe. Zurück im Eselgarten wird die Atmung flach. In Armen und Beinen beginnt es zu kribbeln. CO2-Mangel, Calciumunterversorgung. Bloß nicht wieder krampfen!

Im Bett meines Eselgarten-Sommerhäuschens konzentriere ich mich auf die Atmung, ist ja grundfalsch! Besser ablenken. Zu meinen atemtherapeutischen Eseln schaffe ich es bloß nicht mehr. Lesen geht auch nicht, Brille vergessen. Immer ist sie gerade woanders.

Und das Handy hängt im Wohnhaus an der Leine. Im Notfall nach Hilfe rufen kann ich also auch nicht. Angst steigt auf, die es nicht besser macht. Also beten, danken für den schönen Tag. Stundenlang.

Es ist gut gegangen.

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19. Juni 2025

Noch ein Tag Frühling

Der letzte Frühlingstag. Mit nur sechs Grad Lufttemperatur ist es verflixt kühl heute morgen. Schnell die Esel und Hunde gefüttert, dann geht es zu meinem neuen Lieblingsort, dem Quellgarten zwei Dörfer weiter flussabwärts, wo mitten im Auwald Quellen die Altenau speisen. Spätestens an dieser Stelle hat sie das frische Wasser gerade in trockenen Jahren wie diesem auch bitter nötig. Zugänglich ist der Quelltopf nur an zwei Stellen, weil oder damit rundherum eine einzigartige Wildnis Raum greift. Durch sie hindurch führt der Rundweg vorbei an gepflegten Kopfweiden inmitten des Dickichts. Kirschpflaumenbäume neigen ihre Zweige mit Hunderten bräunlich roter Früchte über den Weg. In der Nähe des Erlenbruchs wächst ein Stengel Baumspinat, essbar.

Dicht am Ufer ein Gelege. Die Teichralle hat es gerade mit ihren ersten beiden Schlüpfern verlassen. Duftig weiche Mini-Rallenkügelchen beeilen sich, hinter der Mama herzukommen, zucken zurück, als Füßchen und der Flauschebauch zum allerersten Mal in ihrem Leben nass werden, huuuuch. Sie nehmen lieber erstmal die Strecke über die Wasserpflanzen und das Treibholz, das sich darin verfangen hat. Aber dann müssen sie doch ins kalte Wasser und strecken die kurzen Flügelstummel dabei waaaait von sich!

Ganz in der Nähe sitzt eine Nutria am Ufer, pitschnass ist ihr Fell, eben erst ist sie aus dem Quellteich gestiegen. Wie groß sie ist! Obwohl ich natürlich noch viel größer bin, futtert sie unbeeindruckt vor sich hin. Gehören... KÜKEN... auf ihren SPEISEPLAN??? Nein, sie ernährt sich vegetarisch!

Also viel Glück, kleine schwarze Rallen-Flöckchen, auf eurer ersten Reise über den großen Teich.

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20. Juni 2025

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Wassertreten

Etwas abseits der Quellen, unter ausladenden alten Eichen, ist eine Kneippanlage in Betrieb. Ich hyperventiliere immer noch ein bisschen. Ob Wassertreten hilft?

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Gut, an den 6 Grad ist jetzt um halb 6 Uhr morgens nichts zu beschönigen, aber der Boden um das Tretbecken herum hat die Wärme der letzten Tage gespeichert, strahlt noch ein wenig davon ab. Sehr barfußfreundlich!

 

Jetzt nichts wie hinein, zuerst mit den Zehenspitzen, in die kühle Erfrischung, die die Zellen sofort zusammenzieht. Dann weiter im Storchengang bis zum Schmerzpunkt. Es prickelt die Wirbelsäule hinauf, breitet sich auf den Schulterblättern aus und muss dann irgendwo dort nach vorne abbiegen, denn es bizzelt sogar in den Wangen.

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Meinen müden Muskeln tut es so unglaublich gut und vor allem die Atmung wird plötzlich tief und ruhig. Was für ein wunderbarer Ort.

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20. Juni 2025

Babyfrösche

Es ist Sommer! Behutsam setze ich meine Schritte. Im Quellgarten sind winzige Babyfrösche unterwegs, so ungefähr einen Zentimeter lang, auf dem Rundweg aus Split für mich kaum erkennbar. Ich muss schon sehr genau hinschauen: Ist das nur ein Erlenzapfen zwischen den grauen Steinchen da unten oder doch ein junger Hüpfer? Langsam setze ich einen Fuß vor und gleich hopsen zwei Zapfen los, die ich gar nicht gesehen habe.

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Den Zugang zum Quelltopf erreiche ich, so glaube und hoffe ich, ohne einen der Winzlinge zu ertreten. Guten Gewissens kann der Blick jetzt über die Wasserfläche schweifen. Mittendrin entdecke ich die große, nasse Nutria, gemütlich vor sich hindümpelnd und mümmelnd, fast allein, wie es scheint, weil die Enten sich mit ihren Küken ans Ufer zurückgezogen haben. Hast du denn selbst keine Familie? Es muss wohl erst noch ein Partner ins Quellgebiet finden. Woher sie selbst wohl kam?

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Die Riesenratte scheint es nicht zu kümmern. Sie ist da und genießt das abendliche Schwimm-Bad sichtlich. Sie zu beobachten, macht einen selbst ganz ruhig und gemütlich. Gut tut das, wo ich doch eigentlich noch daran knabbere, dass nun auch die Post-Covid-Ambulanz in Essen mangels Kapazitäten ihre Warteliste gelöscht hat, auf der ich seit anderthalb Jahren vermerkt war.

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Ich glaube, gleich dreht Big Nutry sich auf den Rücken, legt ein Bein übers andere, verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Habe ich sie gerade pfeifen gehört?

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Ich gehe Wassertreten, lebe nicht auf einer Warteliste, sondern hier in Nutrys kleinem Paradies mit den Fröschen. Und sollten sie dort in Essen irgendwann den Stein des Weisen gefunden haben, werden wir es schon erfahren.

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30. Juni 2025

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34 Grad im Schatten

Extremwetterereignis nennen die Medien neuerdings die Hitze, wie wir sie heute erleben. Die Buchen im Eselgarten haben ihre Blätter eingerollt, um Verdunstungsfläche zu reduzieren, eine Sparmaßnahme wegen Wassermangels, sie haben Not. Auch Kürbis und Zucchini lassen ihre Blätter herunterschlappen. Dabei habe ich sie erst heute Morgen reichlich begossen. Es ist zu heiß.

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Viel heißer noch ist allerdings der Lotte-Esel. Als ich ihr beim Mittagsfüttern nebenbei die Hand auf den Rücken lege, zucke ich erschrocken zurück. Du liebes Lottchen, das ist nicht gesund. Aus der Sommerhütte schnappe ich mir ein sauberes Hundehandtuch, drücke es in einen Eimer Wasser und breite es nass auf ihrem Rücken aus. Sie lässt es geschehen, was für Rosie's schreckhafte Schwester wirklich ungewöhnlich ist. Es tut wohl gut.

Ich schätze, sie hatte sich in Hitze gerannt auf einer wilden Flucht vor den Vampirbremsen, die in diesen Tagen Jagd auf das Blut hilfloser Esel und Pferde machen. Wenn sie doch nur vor der Sprühflasche mit dem Insektenspray nicht immerzu davonlaufen würde. Manchmal erwische ich sie. Heute Morgen nicht.

Ich flüchte mich mit Hunden, einer Melone und frischem Joghurt aus der Hitze des Eselgartens ins abgedunkelte Wohnhaus, wo es vergleichsweise kühl ist, komme nur für das Foto von der Erfrischung noch einmal vor die Tür. Melone mit Joghurtklecks und Walnussstreuseln sieht im Vorgartengrün eben ansprechender aus als drinnen in der Dunkelkammer. Heute werden viele Poster ihr mehr oder weniger erfolgreiches Hitzecoping bei WhatsApp einstellen. Und trotzdem gelitten haben.

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Ich für mein Teil kann die Sorge um Esel Lotte nicht abschütteln. Als ich abends früh wieder nach ihr schaue - die Hunde habe ich zuhause gelassen, es ist einfach zu warm draußen - rechne ich schon fast mit einem kollabierten Eselchen, das leblos im überhitzten Eselgarten liegt. Ich kann, wenn es um meine Tiere geht, sehr dramatisch werden. Aber Lotte hat sich deutlich abgekühlt, Gott sei Dank, ich kann wieder ausatmen.​

Das Handtuch finde ich in Lottes Höhle unter den Holunderbüschen. Dort muss sie vor den Blutsaugern Zuflucht gesucht und hoffentlich auch gefunden haben. Tolle Bäume! Man tut eben, was man kann, egal, ob man nun ein Handtuch, ein Holunderbusch oder ein Kräuterspray ist.

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1. Juli 2025

36 Grad im Schatten

Lotta und Josh sollen sich nochmal nach Herzenslust bewegen, bevor sie den Tag in der Kühle des Wohnhauses verbringen. Es ist noch wärmer geworden als gestern, die Luft sogar im Wald schon früh morgens schwül und stickig.

Erst bleiben die beiden brav in meiner Nähe, bis Josh ein Duft in die Nase steigt, dem man als kleiner Hund mit großen Ambitionen unmöglich widerstehen kann! Wer hat da seine Fährte gelegt? Josh wird der Sache nachgehen, stellt den Schwanz auf, bellt ein paar Mal - Ich komme! - und schon ist Strolchi fort.

Ein bisschen Zeit soll er haben, aber ich stehe unter Zeitdruck. Um zehn Uhr möchte ich unbedingt bei einer Feier an meinem geliebten vorletzten Arbeitsplatz sein. Weil ich aus Erfahrung weiß, dass der wunderbare kleine Hund jetzt ein, zwei Stunden unterwegs sein wird, fahre ich schonmal zu den Eseln. Sie bekommen noch einen Nachschlag. Zurück im Wald: Pfeifen, Rufen, ein Rascheln im Unterholz, das lauter wird, Josh kommt ...!

Doch dann, er ist schon fast bei mir, kreuzt leider eine neue Spur seinen Weg, er hat doch noch zu tun, sorry, verschwindet im Gebüsch.

Die Zeit verrinnt, es wird schnell heißer, das hechelnde Lottchen muss hier weg. Ich brauche eine Dusche, bevor ich fahre, andere Schuhe, um Josh im Unterholz zu suchen, und wir beide brauchen ganz sicher Trinkwasser, wenn ich ihn endlich finde. Das Frühstück kann meinetwegen ausfallen, denn wie ich die Kollegin aus der Hauswirtschaft - mein GlücklichT - und ihr Team kenne, werden sie köstliche Dinge für die Feier vorbereiten.

Mit Turnschuhen und einer Flasche Wasser bewaffnet, kehre ich in den Wald zurück. Und endlich, diesmal dauert es nicht lange, ein Pfiff, ein Ruf, da kommt er mir schon aus dem Wald entgegen. Aber wie? Er schleppt sich, die Rute baumelt auf dem Boden, die Augenlider sind halb geschlossen. Zwei Deckel voll Wasser aus der Hundetrinkflasche, die ich ihm hinhalte, Josh ist am Ende. Was ist da im Wald passiert?

Noch den ganzen Tag über wird er sich die Pfoten lecken, er war im Brombeergestrüpp unterwegs, die Augen fallen ihm immer wieder zu, wie es sonst nur Welpen passiert, egal was sie gerade tun. Erst abends bemerke ich, wie heiß seine Pfoten sind, ein Zeichen für Überhitzung. Ach Josh, hättest du doch schon beim ersten Rufen gehört. Nein, ich gebe zu, es muss heißen: Hätten wir dir doch von Anfang an beigebracht, auf unser Rufen zu hören. Du warst so lernwillig, als du klein warst, wolltest nichts als uns gefallen. Es tut mir leid.

 

Am Nachmittag wieder zuhause kommt der Crash und zwar so heftig, dass ich nicht mehr selbstständig sitzen kann. Als ich erstaunt immer weiter nach links kippe und mich schließlich seitlich abstützen muss, verbinden mich doch immer noch meine Erinnerungen mit den Menschen, denen ich auf der Feier begegnet bin, allesamt Herzensmenschen. Ich war pünktlich um 9:59 Uhr dort, der liebe Gott tut nix als fügen, die Feier war wunderschön und den Crash war es wert.

 

2. Juli 2025

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Entwicklungen

Josh hat sich glücklicherweise erholt. Der kleine Bengel hat mir richtig Sorgen gemacht.

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Esel Lotte wird jetzt zu ihrem Glück gezwungen, im Pferdebremsenfall angebunden und dann besprüht. Und siehe da: sie hält ganz still, bis Bauch, Beine und Po im feinen Krautnebel eingeduftet sind. Das soll den Eselgeruch überdecken, die Bremsen austricksen, was meinem Wissensstand allerdings widerspricht, nach dem sich die Insekten, die Blinden Kuckucks, wie sie auch genannt werden, vor allem an der Körperwärme orientieren. Aber egal, - was hilft, ist gut!

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Angebunden wird sie seit heute mit einem neuen Halfter, maßgeschneidert von der HALFTERMANUFAKTUR Oliver Golm, tadah!

Das alte war stark eingerissen, was davon zeugt, wie unwissend grob wir anfangs mit ihr umgegangen sind. Sie wehrt sich immer noch oft gegen die Führung am Strick. Was haben wir mit dem armen Tier gekämpft bis wir lernten, seine Kraft umzulenken, für uns zu nutzen statt gegenzuhalten. Möglich gemacht hat die Anschaffung eine Palmsonntagspilgerin. Ihre Freundin und sie stiften zu ihren Geburtstagen Geld statt sich zu beschenken. In diesem Jahr waren wir dran, die Esel im Altenautal. Das hat mich sehr gerührt und weil ich möchte, dass gespendetes Geld für die Schenkenden sichtbar bleibt, schaffe ich für den Betrag etwas Konkretes an. Für die Palmeselpilgerin also das neue Halfter für "ihren" Esel Lotte in der Luxusversion mit Fleece-Unterfütterung, Schmuckborte und reflektierenden Seitenstreifen. Zuckersüß!

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Und nochmal Familie Spatz. Das Paar auf meiner Terrasse brütet gerade sein viertes Gelege aus. Beim dritten ist ein Küken aus dem Kasten gefallen. Es lag, schon leblos, auf meiner Bank, als ich es fand. Da leide ich richtig mit. Mit dem Küken, den Eltern und Geschwistern. Aber für die, die noch leben, müssen Mama und Papa Spatz weitermachen. Wie oft noch werden sie das Nest nachbessern, Eier legen, brüten, füttern, fliegen üben?

An warmen, trockenen Tagen tackern sie schon morgens am Edelstahlkamin meines Holzofens herum. Josh, den das anfangs verrückt gemacht hat, hat sich inzwischen daran gewöhnt.

Trinken sie etwa den Tau, der sich dort niederschlägt? Ich habe aber auch eine lange Leitung! Jetzt gibt es eine Vogeltränke und es wird nicht mehr mühselig Tau gepickt.

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Für mich steht die nächste Hürde an: die Begutachtung durch die Deutsche Rentenversicherung, die Ausschlag geben wird für oder gegen die Bewilligung der Erwerbsminderungsrente.

Gelassen bleiben, authentisch sein. Vertrauen. Die Entscheidung annehmen. Das Leben erneut anpassen.

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3. Juli 2025

Vorfreude im Kürbiswald

Zucchini- und Kürbispflanzen sind zu einem regelrechten Wald herangewachsen. Das Dach aus riesigen Blättern beschattet die Erde darunter. Ranken haben sich durch die Erbsen in den kleinen Apfelbaum gewunden, der in diesem Jahr erstmals trägt und das gleich so reichlich, dass seine Zweige schwer den Boden berühren. Wer hier wen stützt oder hält, ist wirklich nicht auszumachen. Wahrscheinlich helfen sich Kürbiswald und Apfelbäumchen gegenseitig.

Ein Blick darunter offenbart die zu erwartende Ernte: dicke Kürbisse, noch goldgelb, hängen wir dicke Tropfen zwischen den Hochbeeten unterhalb der darauf aufliegenden Rankgitter an den langen Trieben. Damit sie ihre ganze Kraft ab jetzt in die schon vorhandenen Früchte pumpen, knipse ich die Neuaustriebe an den Triebspitzen ab. Ich sehe die Kürbisse schon tieforange auf den Regalbrettern im Vorrat lagern. Ob sie bis zum Ende des Winters reichen werden?

Zucchini sind schon erntereif, aber nicht lange lagerfähig. Jeden Tag pflücke ich sie jetzt ab und dann beginnt endlich, endlich wieder das Einmachen, hurra, denn meine Vorräte vom letzten Jahr sind aufgebraucht bis auf ein Glas Roter Bete und einem mit Apfelmus.

Nach der Anleitung der Youtuberin Gesa vom Kanal NATÜRLICH SELBSTGEMACHT schneide ich 1,5 kg Zucchini so klein wie ich sie gern haben möchte. Große Zucchini sollten vorher geschält werden. Passiert ja schonmal, dass man tagelang nach dem Gemüse guckt, nichts findet und doch heimlich und still unter dem Laub ein Riesenömmes in harter Schale heranwächst.

Mit 1 EL Salz bestreut und abgedeckt ziehen die Stückchen 24 Stunden lang Wasser, das dann abgegossen wird. In der Zwischenzeit kann man schon den Sud aufkochen aus 450 ml Wasser, 300 ml Weißweinessig, 125 g Zucker und 1 EL Kurkuma. Abkühlen lassen, damit Einkochgut und Sud beim Einmachen mit der gleichen Temperatur starten.

Dann verteilt man 3 zerkleinerte Knoblauchzehen, 5 Lorbeerblätter, 5 TL Senfsaat, 1 TL Koriandersaat, etwas Nelkenpulver und Pfeffer auf die Gläser. Bei mir sind es 5 Stück mit einem Fassungsvermögen von 580 ml. Zucchini rein, ein wenig nachschieben, mit Sud aufgießen, 20 Minuten bei 90 Grad in verschlossenen Gläsern kochen. Kommt bei mir in Salat, Risotto oder Pastasauce. Vorher macht mich der Anblick der Vorratsgläser aber erstmal lange so richtig zufrieden. Habe ja noch frische.

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5. Juli 2025

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Terrassenküche

Es geht einfach nicht. Wir können nicht mehr im Eselgarten schlafen. Der kleine Lottahund kann seine Angst vor den Eseln, die letztes Jahr entstand, nicht überwinden. Vier oder fünf Nächte hat die kleine Maus da unten durchgezittert, ist immer wieder durch Hundegarten und Hütte gelaufen auf der Suche nach einem Ausgang, kam nicht zur Ruhe, so dass ich entschied, mit den Hunden wieder ins Wohnhaus zu ziehen.

Schweren Herzens zwar, weil ich mich fünf lange Wintermonate lang danach gesehnt hatte, endlich wieder mit allen vier Tieren zusammenleben zu können. Aber mein Seelenlottchen geht vor. Wer weiß, wieviel Zeit uns noch zusammen bleibt. Die soll sie nicht verschlottern. Fortan bleiben die Hunde bei der Eselversorgung und der Gartenarbeit im Schatten der Zwetschgenhecke im Auto liegen, von wo aus sie immer mal wieder mich, nicht aber die Esel sehen können. Lotta hat sich im Auto schon immer sicher gefühlt, Josh gewöhnt sich mehr und mehr daran.

Aber ich kann mich nicht auch noch in Ruhe vors Sommerhäuschen setzen, dort kochen oder lesen, wenn die Hunde im Auto auf mich warten.

Also finde ich einen Kompromiss: es entsteht wieder meine Sommerküche auf der Terrasse am Wohnhaus, nicht vergleichbar mit der im Eselgarten und jetzt in der Hauptsaison mit den vielen Feriengästen, die provozierend entspannt um unser Haus herumschlendern, eigentlich zu herausfordernd für den nervösen Joshi, aber immerhin draußen.

Der Enders Gaskocher zieht ein mit einem neuen Wasserkessel, weil der alte über den Winter innen grün ausgeblüht ist. Eine alte Waschschüssel steht zum Spülen bereit und ein kleines Gewürzregal, aus den Einzelteilen einer kaputten Gartenliege zusammengeschraubt, bildet den Aufsatz auf der alten Kommode. In den Schubfächern unter der Arbeitsfläche aus Schieferplatten kommen etwas Geschirr und Besteck unter.

Mein erstes einfaches Gericht: mein Frühstücks-Habermus mit frischen Stachel-und Himbeeren und dem ersten Klarapfel aus dem Garten. Der Sommer kann auch hier schön werden. Vielleicht einfach ab und zu die Esel heraufholen? Nein, überall tödliche Ahörner hier oben. Wie schade, aber es ist wie es ist.

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6. Juli 2025

Süße Disteln

Unterhalb meiner Terrassenküche wächst eine absolute Eselleckerei den Hang der Nachbarn hinauf: Wilde Karden! Bevor ich Rosie und Lotte welche mitbringe, erfreue ich mich noch eine ganze Zeitlang selbst daran.

 

Gerade beginnen sie nämlich plüschrosa zu blühen. Die kleinen Blütenröhrchen öffnen sich zwischen den Hüllblättern zuerst in einem weichen Ring um den stacheligen Bauch herum. Von da aus öffnen sich die Knospen gleichermaßen nach oben wie nach unten, während die Blüten in der Mitte verblühen. Deswegen tragen manche Karden noch eine Bauchbinde, andere schon zwei feine Kränze und die restlichen nur noch einen hübschen Haarkranz oder eine festliche Krone.

 

Allesamt wie Ostereier sehen sie aus, hübsch verpackt, mit Schleifenband umwunden zum Verschenken, zunächst an Hummeln und Schmetterlinge. Einen langen Rüssel braucht, wer hier naschen möchte. Haben sich erst die Samenstände gebildet, kleine Nüsschen, locken sie Schwärme bunter Finken an. Nicht umsonst heißen diese Vögel Distelfinken.

 

Eine Überraschung steckt in den gegenüberliegenden Blättern, die unten am Stängel zu Trichtern zusammengewachsen sind. Regenwasser sammelt sich darin und wird Vögeln gleichermaßen wie Insekten zum Trinken angeboten. Es gibt tatsächlich den Begriff der Zisternenpflanze. Auch Wanderer sollen schon ihren Durst daran gestillt haben. Was sich so ein Schöpfer alles ausdenkt!

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7. Juli 2025

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Übernachten bei Tante Berg

Das Lieblingsnachbarkind will das Buch mit Lotta anschauen. Keins über den Lottahund, das gibt es ja wohl noch gar nicht, sondern Astrid Lindgrens Bilderbuch von LOTTA AUS DER KRACHMACHERSTRAßE.

Die schwedische Ausgabe habe ich in einem richtigen Bullerbü-Urlaub in Trosa gekauft, mit Mittsommerfest unter Einheimischen, Elchen im Wald und Wiesen voller Lupinen. Die sieben Blumen von den sieben Wiesen habe ich noch, die ich nachts unter das Kopfkissen legte. Der Lottahund war damals schon dabei.

Das Buch kann ich leider nicht lesen, weil es auf Schwedisch ist. Das Lieblingsnachbarkind kann es auch nicht, obwohl es sonst eigentlich alles kann, weil es ja schon groß ist, also lesen wir gemeinsam die Bilder. Das vom LottaKIND, das schon morgens vor dem Aufstehen so fürchterlich wütend ist, liebt es ganz besonders. Und dann natürlich die Doppelseite, auf der es, immer noch ganz infernalisch sauer, rübermarschiert zu Tante Berg mit dem kleinen weißen Hund vor dem Haus, um dort einzuziehen.

Ist ja wohl super logisch, dass das ganz haargenau so ist wie bei uns in Echt. Schließlich bin ich die Nachbarin mit dem kleinen weißen Hund, der auch noch exakt so einen Schweineteddy hat wie das Lottakind!! Nur wütend ist das Nachbarkind überhaups nicht!

Der kleine weiße Hund schaut jetzt der kleinen Nachbarmaus beim Schlafen zu, die wie das Lottakind bei ihrer Nachbarin, also bei mir, übernachtet zwischen Bergen von Spielzeug und Kuscheltieren. Ich slafe bei dir und Mama und Papa gehen weg! hatte sich das Kind überlegt. Und ich habe dann mit Mama und Papa überlegt, dass es besser sei, erstmal nicht wegzugehen, wenn das Töchterchen zum allerersten Mal nicht zuhause släft. Ob es diese Nacht Angst bekommt und Heimweh hat? Das Lottakind im Buch ist ja doch mächtig erleichtert, als der Papa es noch am selben Abend holen kommt und zur Mama nach Hause bringt, obwohl es sich doch erst so wunderbar herrlich anfühlte, sich das Rumpelzimmer bei Tante Berg einzurichten.

Aber wenn es dann ganz dusterdunkel wird, alles so fremd ist, ach, da kann einem schon der Mut sinken, auch wenn man das gar nicht will.

Und wie geht es mir? Ich kann mich gar nicht satt daran fühlen, dass das kleine Mädchen tatsächlich bei mir übernachtet und mein kleiner alter Lottahund es sich nicht nehmen lässt, über seinen Schlaf zu wachen.

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11. Juli 2025

Frühaufsteher

Es schläft und schläft und schläft ... Aber wer bei Lisa übernachtet und die Tiere mitversorgen möchte, muss ja nun mal leider früh mit raus. Alles hat seinen Haken!

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Armstreicheln weckt das Kind schon mal nicht. An der Wange kitzeln? Ja, klappt, und ich bekomme dafür sogar ein Kinderlachen und eine warme Umarmung geschenkt. Raus aus dem Bett, Zähneputzen, angezogen, - das Lottchen und Josh warten auf Futter. Mit den Hunden ab zu den Eseln, Futter verteilen, abmisten, während das Nachbarkind in der Hängematte baumelt.

 

Es hat jetzt eigentlich Hunger, aber Josh braucht noch Auslauf, heute oben auf der Sonnenuntergangswiese. Sofort flitzt er davon. Ganz weit weg hören wir ihn bellen. Das kann jetzt dauern und dabei ist das rosa Mädchen jetzt WIRKLICH hungrig. Bei Tante Berg gab es einen ganzen Korb voll Limonade, Brot und... Beeren? Marmelade? Schade, dass ich nicht daran gedacht habe, ein Picknick für uns einzupacken.

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Aber das holen wir in dein Haus auf der Terrasse nach! Denn Mama hat tatsächlich alles eingepackt: zu Trinken, Brot, ein riesiges Schüsselchen mit roten Erdbeeren.

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Und danach fallen dem Kind die Augen schon wieder zu, direkt draußen auf der Bank. Josh hüpft hinauf, bei dem Lottahund helfe ich nach und dann schlafen sie alle drei schon wieder ein, um halb acht morgens.

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12. Juli 2025

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Waschbärenbad und Käfersturz

Eher beiläufig schaue ich in den Tränkeeimer der Esel. Muss aufgefüllt werden, registriere ich und schnappe mir den Henkel mit dem hölzernen Griff, stutze. Nanu? Das sind doch wohl nicht die Pfotenabdrücke eines Waschbären da unten auf dem Boden, wo sich Sedimente abgesetzt haben?!

Dass da jemand mitgesoffen hat, wundert mich überhaupt nicht bei dieser Hitze, auch wenn ich als Waschbär die nahe Altenau bevorzugt hätte. Aber dass sich ein Bär komplett in den Eimer quetscht, erstaunt mich dann doch. War vielleicht ein Babywaschbär beim ersten Abenteuer seines Lebens.

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Noch starre ich hinein in den Pott, als ich hinter mir ein Plopp höre. Wenn ich so drüber nachdenke, waren da schon mehrere Plopps, während ich über das bestimmt sehr niedliche badende Bärenkind nachsinne.

Also drehe ich mich um zur Außenwand der Gartenhütte, wo ein nicht ganz kleiner Käfer mit Zangen im Gesicht versucht, den Betonsockel zu erklimmen. Nicht ganz leicht für so einen Moppel, der dem Plopps nach zu urteilen auch nicht so superleicht ist. Deshalb stürzt er ja auch ab, immer wieder. Immer auf die harte Schale seine Rückens. Einmal helfe ich ihm mit einer Feder, wieder auf die Beine zu kommen. Aber irgendwann, so denke ich, muss da doch mal ein Lerneffekt eintreten! Echt jetzt - Plopps!

 

Sein Gang wird schwerfälliger, mit dem rechten Vorderbeinchen streicht er jetzt immerhin über die glatte Fläche, bevor er sie betritt. Ob es dieses Mal Halt findet? Er will da rauf, keine Frage, die Holzwand über dem Betonfundament erreichen. Ob er es geschafft hat, weiß ich nicht. Ich konnte irgendwann nicht mehr hinsehen. So ein Dickkopp! Plopp plopp.

 

Was war das überhaupt für einer? Mal bei Google lens reinlinsen...

Ein BALKENSCHRÖTER? Liebt Totholz im ländlichen Garten, o nein o nein o nein, nicht meine Hütte, bitte nicht! Ich weiß, dass ich sie dringen streichen muss. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ihm nicht geholfen, sondern ihn in den Holzhaufen umgesetzt, von dem ich hoffe, dass Igel ihn finden.

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13. Juli 2025

Drachen sollen fliegen

Drei Rotmilane haben sichtlich Freude am Wind, der aufgefrischt ist. Mit wilden Schreien kreisen sie eng umeinander ohne einen einzigen Flügelschlag.

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Stoppelfeld, Wind, Sonnenschein,- da muss ich einfach meinen Drachen steigen lassen. Wo der wohl steckt? Im Einbauschrank der Hütte werde ich fündig, sorgfältig eingerollt in seine Plastikhülle, wo er seit Jahren darauf wartet, wieder aufsteigen zu dürfen.

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Jetzt ist der Zeitpunkt für uns beide gekommen. Im Auto verstaut, ans Feld gefahren, da, wo es sich gegen den Wind ins Tal neigt, besser geht es nicht.

Ich genieße schon das Auspacken, das Kreuz aus Fieberglasstangen zusammenzustecken, - wunderschön ist er. Die Regenbogenfarben leuchten wie vor 35 Jahren, als er zum ersten Mal am Strand von Wangerooge aufstieg. Nach einem Praxissemester in einem Mutter-Kind-Kurheim habe ich da noch oft Urlaub gemacht, um mich mit Seeluft durchpusten zu lassen.

 

Jetzt hänge ich den viele Meter langen grünen Schwanz in die dafür vorgesehene Öse. Er wird meinem Windvogel Stabilität geben, weil er zwischen Schwerkraft und Aufwind vermittelt.

Flach auf den Rücken legen, die Leinen von den Spulen rollen, spannen, dann kräftig rucken und schon steigt er auf, zappelt und flattert, immer höher. In diesem Anblick kann ich versinken, möchte ihn festhalten. Ob ich mit einer Hand zwei Spulen halten, den Drachen ausbalancieren und mit der der anderen ein Foto schießen kann? Kann ich erstmal nicht, er reagiert sofort mit einem spektakulären Looping, bevor er abstürzt, aber den habe ich mit der Handykamera erwischt, jawoll!

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Jetzt wird das Handy aber mal bitte weggesteckt, mein Regenbogenfreund will wieder starten und dieses Mal übe ich das Lenken. Wie bereitwillig er reagiert, waagerecht von rechts nach links fliegt, große und kleine Kreise zieht! Wir beide können es noch, oh ja.

 

Drachen sollen fliegen, hat der PUR-Frontsänger Hartmut Engler 1987 getextet und bis weit in die 90er hinein in die Radios gesungen, lass mich bitte los. Damals arbeitete ich nach dem Studium schon im Kinderheim und alle Kids schmetterten aus guten Gründen leidenschaftlich mit.

 

Aber jeder, der schonmal einen Drachen hat steigen lassen, weiß es besser: er braucht den Halt durch die gespannte Leine genauso wie den Wind, die Erde und den Himmel, sonst trudelt er und stürzt ab.

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Vielleicht gefällt mir es deshalb so gut. Ich brauche Wurzeln und Flügel gleichermaßen, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Das Herz voller Himmel und die Füße auf dem Boden. Erdung und meinen kostbaren Glauben.

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15. Juli 2025

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Wolle

Eine Spinnfreundin hat mir einen Riesensack Rohwolle geschenkt und mir gleich ihre Kardiermaschine ausgeliehen. Ich habe jetzt nämlich mein erstes eigenes Spinnrad, eine Kromski Mazurka, ergattert über die Kleinanzeigen. Klein, leicht, wie gemacht für schwache Fatigueler. Jetzt kann ich richtig loslegen, die Wollverarbeitung erlernen und eines noch fernen Tages einen Pullover aus selbst gesponnenem Garn stricken. In dieser Nachhaltigkeitskette fehlen eigentlich nur noch die Schafe. So zwei süße kleine Skudden...? Lisa, aus!

 

Weil das Vlies vor Lanolin strotzt und in den filzigen Zotteln Gras und überhaupt alles mögliche festsitzt, was man als Schaf mit einem vernünftigen Fell so aus der Wiese sammeln kann, muss es erst einmal ordentlich gewaschen und abgepflückt werden. In der warmen Sonne trocknet es in wenigen Stunden, so dass ich schon bald eine Portion nach der anderen durch die Kardiermaschine kurbeln kann, in der zwei gegenläufige Walzen, dicht mit Stacheln bewehrt, die Rohwolle in dicke Stränge kämmen. Ein paar Tage dauert es schon - die nachlassende Handkraft - bis ich Strang um Strang in dicke wolkige Bäusche gedreht habe. Aus denen kann ich mir jetzt nach und nach die Wolle zupfen, um sie zu verspinnen.

 

Und schon schnurrt die kleine Mazurka in meiner Terrassenküche fleißig Garn. Jaaaaa, gut, sie schnurrt nicht, sie quietscht. Ist ja auch schon alt. Habe ich noch irgendwo Nähmaschinenöl, mit dem ich die Kette meines Fahrrads öle, obwohl ich es gar nicht mehr fahren kann? Tatsächlich. Im Einbauschrank der Hütte, da, wo der Lenkdrachen darauf wartete, wachgeküsst zu werden. Womit ich wieder bei Rapunzels Spinnrad bin. Ach, - Dornröschens!

 

Spinnrad geölt, läuft wie geschmiert. Faden wird länger und länger, ich brauche jetzt eine weitere Spule, die erste ist voll. Wo kommt die her? Das hat man davon, wenn man ein Spinnrad kauft, das nicht mehr hergestellt wird. Es gibt kein Zubehör mehr bei Kromskis. Aber die Spinnfreundin hilft wieder aus. Sie hat nämlich auch so eine hübsche kleine Mazurka.

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17. Juli 2025

Jossi ist krank

Joshi ist jetzt ein Patenhund. Die Nachbarfamilie möchte eines meiner Tiere unterstützen und das Lieblingsnachbarkind hat sich den Joshi-Hund ausgesucht. 

Bloß ist der kleine Hund heute krank, er war morgens sehr lange in der Wiese, hat wohl zu viele Mäuse gefressen und kann jetzt gar nicht mehr spielen! Wirklich nicht? Erwachsenendenke! Das Kind flitzt nach Hause und kommt als Krankenschwester im weißgestärkten Kittel zurück mit einem rosafarbenen Erste-Hilfe-Koffer, dem ein rotes Kreuz aus Filz seine Bestimmung zuweist. Die Schwester misst Fieber - das hölzerne Thermometer zeigt wie immer 37 Grad Temperatur - und verteilt mit Hingabe Injektionen. Ich bekomme auch ein paar ab, weil ich da gerade so herumsitze und staune, was der kleine Hund und die kleine Nachbarin da veranstalten.

Dann findet Schwester Nachbarin ein Gebiss. Das legt das Kind dem kranken Joshi auf den Kopf und er, er lässt es geschehen. Wie ich ihn dafür liebe.

Zuletzt holt sie Anneliselotte, mein Wärmschaf, aus dem Schlafzimmer, ja, eine Krankenschwester muss sich schon auskennen, wenn sie Hausbesuche macht, und bettet den Hund darunter, so!

Rundum versorgt ist der kleine Kerl, als die Schwester zur Nachtschicht nach Hause muss. Sie schlägt bei Mama und Papa noch eine Geschichte heraus, die sie dem kranken Joshi vorlesen darf, aber dann muss sie wirklich los.

Zusammen packen wir das wilde Durcheinander von Stethoskop, Holzzähnen und Medizin wieder in ihre Tasche, als mir einfällt, dass neulich der Krokodilhandpuppe ein Zahn abgebrochen ist.

Das Nachbarkind liebt Kroko und noch mehr liebt es es, damit zu beißen. Mich.

Ja, und da ist jetzt irgendwie der Zahn futsch. Aber sie hat ja Ersatz, nimmt unkompliziert die OP in Angriff und lässt kurz darauf die Puppe im Köfferchen verschwinden. Das habe ich gesehen, spiele ich Entsetzen und schlage gleich versöhnlich vor, das Krokodil mit ins Krankenhaus zu nehmen.

Oh ja, die Krankenschwester ist sofort einverstanden und ich weiß schon, wer HEUTE gebissen wird. Der Papa, wetten?

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21. Juli 2025

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Gesund werden, ein Entschluss

Dies wird wieder eine besondere Geschichte, weil ich an einem Wendepunkt stehe. Doch wo fängt sie an? Vielleicht begann sie vor 28 Jahren, als ich nach Münster zog und fortan Fahrrad fuhr. Möglicherweise fing sie aber auch ein paar Jahre später an, als ich mir meinen Schwarzen Blitz kaufte, das Rad aus der Bremer Fahrradmanufaktur, das mich bin heute begleitet.

Nein, sie wird wohl im März 2023 beginnen, als ich erkrankte und das Radfahren Erinnerung wurde. Es gab aber auch diesen besonderen Moment im September 2024, als ich, fix und fertig von der zermürbenden Reha, im nicht enden wollenden Dauercrash beschloss, dass mir nichts anderes übrig bliebe, als diese ätzende Krankheit hinter mir zu lassen. Dafür gab ich mir zwei Jahre.

Meine brillante Psychotherapeutin, die mir von Anfang an beistand, notierte damals begeistert den Termin, an dem ich wieder gesund sein würde: den September 2026. Und woran merken Sie, dass sie gesund werden? Sie wachen ja nicht eines Tages auf und alles ist gut. Doch, ehrlich gesagt hatte ich mir das wohl so ähnlich vorgestellt. Oder gar nicht. Frage vergessen, Frage wiederholt: Woran merken Sie, dass sie gesund werden?

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Okay, wünsch' dir was, denke ich und fange an zu notieren:

- Ich kann schmerzfrei zum Auto laufen.

- Ich kann zwei Sachen hintereinander machen.

- Ich kann statt 1 Stunde 1,5 Stunden im Heim arbeiten und zwar zweimal pro Woche.

- Ich liege tagsüber nicht mehr im Bett, sondern maximal einmal am Nachmittag auf dem Sofa oder im Sessel.

- Ich genieße Gesellschaft.

- Ich kann am Eselgarten, da, wo es eben ist, Radfahren.

- Ich vertrage wieder mehr Speisen.

 

Und dann überschneiden sich in den letzten zwei Wochen zwei erst einmal gegensätzliche Anliegen. Zur Begutachtung durch die Deutsche Rentenversicherung möchte ich nicht ausgeruht erscheinen, sondern gecrasht, damit meine Einschränkungen sichtbar sind.

Um mich zu überfordern, könnte ich doch jetzt mal alle Punkte auf meiner Liste gleichzeitig angehen. Also packe ich Aktion um Aktion in meine Tage, mache nur noch nachmittags Pause, gründe eine Selbsthilfegruppe, die ich zu mir einlade. Das heißt Planen, Organisieren, Einkaufen, Putzen, Backen, Waschen, Platz schaffen, Eindecken, willkommen heißen, Unterhalten, Aufräumen, Spülen. Alles ganz eng hintereinander.

Danach die Begutachtung, aber der erwartete Crash bleibt aus. Symptomverschlechterung ja, bei der Prüfung hyperventiliere ich, habe Nebel im Kopf, enorme körperliche Schwäche. Aber nach einem halben Kilo Eis, um Energie zuzuladen, einer Stunde unter freiem Himmel und zwei Stunden Schlaf bin ich schon wieder obenauf. Ich ziehe an: doppelter Ehrenamtseinsatz im Heim, und schließlich... Radfahren!

21. Juli 2025

Radfahren

Ich will Radfahren. Ich WILL. Genau JETZT will ich spüren, dass ich gesund werde.

NACH dem Besuch bei einer Freundin, NACH einer Besorgung UND nach dem Besuch der Lieblingsnachbar-Krankenschwester.

Nur ein paar Meter unten am Eselgarten, wo es eben ist, keine Anstrengung kostet. In die untergehende Sonne, die in den Pfützen glänzt, weil es gleichzeitig regnet. Der goldene Weg. Wenn der kein gutes Zeichen ist.

Dieses Rad hat mich durch die Studienzeiten und über die Vogesen bis ins Burgund gebracht. Wir sind ein Team!

Das Aufsitzen fühlt sich gleichzeitig an wie nach Hause kommen und aufbrechen.

Herz, Lunge und Muskeln fangen an zu pumpen. Es fühlt sich gut an, auch die leichten Hügel hinauf und hinunter. Jetzt müsste doch ein Regenbogen... Allerdings! Ein perfekter, schillernd bunter, links von mir, nachdem ich abgebogen bin, an den Himmel gemalt. Für dieses Kunstwerk braucht es Sonne und Regen. Und es hat immer ein Gegenüber: eine gewaltig leuchtende Himmelsmasse, in der sich Sonnengelb mit Wolkengrau vermischt.

Noch einmal links abgebogen und ich muss nur noch hindurchfahren durch das bunte Regenbogentor. Ich fahre Rad!!!

Doch der Triumph bleibt erstmal aus. Was kommen denn da für trübe Gedanken? Von der wirklich fürchterlichen Zeit in der Reha, die mich körperlich und kognitiv ganz nah an den Abgrund getrieben hat. In der ich im Stehen auf dem Flur vor Erschöpfung einnickte. In der Ärztinnen schlicht keine Zeit hatten, sich einzugestehen, dass sie ME/CFS nicht können. In der ich an einem Fenster im 4. Stockwerk stand, wo ein überwältigender Sog mich zu springen zwingen wollte, ich mich fühlte wie Harry Potter in der Gewalt des Dementors, und wo es übermenschlicher Kraft bedurfte, mich abzuwenden und wegzugehen.

Als ich diese Erinnerung beiseiteschieben kann, habe ich den Regenbogen hinter mir gelassen. Ins Paradies gelangt man durchs Fegefeuer. Gereinigt.

Zurück im Eselgarten durchfließt mich endlich das Glück. Tränen steigen auf. Ich bin Rad gefahren, vier Kilometer!

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21. Juli 2025

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