top of page

Geschichten aus dem Eselgarten

ab 24. Oktober 2024

IMG_20241024_125831_edit_20527064983325.jpg

Kürbis-Linsensuppe

Im Garten locken leuchtend orangefarbene Hokkaidokürbisse. Einer von ihnen wird heute mein Mittagessen sein. Und weil ich die klassische Kürbissuppe ein klein wenig leid bin, probiere ich eine Variante mit rote Linsen aus.

Während ich 400 g von dem Kürbis würfele, schwitzen schon eine gehackte Knoblauchzehe und ein wenig geriebener Ingwer in Rapsöl und ich muss mich schon wieder zwingen, weiter zu schnippeln statt unentwegt mit geschlossenen Augen den Duft zu inhalieren.

​

Dann dürfen die Kürbiswürfel fünf Minuten lang mitschwitzen, bevor  jeweils ein Teelöffel von Curry, Kurkuma, Kreuzkümmel, Galgant, eine Messerspitze vom Bertram und 200g rote Linsen dazukommen. 800ml Gemüsebrühe angießen, 20 Minuten lang weich kochen und dann das Süppchen häckseln, das mit 100g Frischkäse und einem ordentlichen Spritzer Zitrone noch feiner wird und vor allem auch den etwas mehligen Geschmack der Linsen aufhebt. Ein Schluck Orangensaft passt bestimmt auch sehr gut dazu, den habe ich nur gerade nicht vorrätig.

 

Eine zweite rohe Knoblauchzehe streue ich gehackt oben drauf. Die Sache mit dem Knoblauch ist ja die: in Öl angebraten entfaltet er diesen himmlischen Duft und Geschmack, verliert nur leider, das wusste schon Hildegard von Bingen, seine medizinische Wirkung. Deshalb gebe ich jetzt immer zwei Zehen ans Gericht. Eine wird mitgeschmort, die zweite am Ende darübergestreut.

​

Mit Salz, Pfeffer und dem obligatorischen klein geschnittenen Salbeiblatt zur besseren Verträglichkeit obendrauf, dampft es herrlich aus der Suppenschüssel, so dass sogar Josh – schwubbs – ruckzuck neben mir auf dem Bänkchen sitzt. Seine kleine Nase, so gerade über die Tischkante gehoben, wackelt hin und her, als er interessiert schnuppert. Nein, mein Kleiner, das ist MEINE Suppe. Übrigens hast du mir eben auch nichts von deinem Futter abgegeben.

​

24. Oktober 2024

Tage wie diese

Auch Eselinnen haben diese gewissen Tage, an denen ihr Gemüt ein klein wenig aus dem Gleichgewicht gerät. Vor allem Lotte ist dann garstig, ein richtiger Stinkstiefel geradezu.

​

Es fängt schon an, bevor ich zur Begrüßung über die Zaunlitze steige. Lotte kommt zwar als erste heran. Aber anstatt sich von mir kraulen zu lassen, schnappt sie nach Rosie, die ihr gefolgt ist, legt die Ohren ganz dicht an den Hals und signalisiert damit äußerst schlechte Laune. Da hält man als große Schwester und auch als Eselhalterin mal lieber Abstand, bevor ihre stumpfen Veganerzähne, die immerhin Baumstämme fräsen, in unsere Oberschenkel zwicken.

​

also bekommt meine ungeteilte Zuwendung zwangsläufig Rosalie. Sie reibt ihren Kopf lange und hingebungsvoll an meiner Jacke, was Lotte nicht gnädiger stimmt. Ist da Eifersucht im Spiel, Nackenschmerz oder Hunger?

 

Da sie mich nicht an sich heranlässt, fülle ich wie immer zuerst ein paar Handvoll Heu in den Treckerreifen unter der Fichte, damit die Esel dort schonmal beschäftigt sind. In der Zwischenzeit tauche ich die beiden Heunetze im Weidezelt in den Wassereimer und hänge sie zum Abtropfen an den Haken darüber. Als ich den Trail abäpple, trottet schon bald Lotte auf dem Weg zum Zelt an mir vorbei, später auch Rosalie. Sie hat noch eben ein paar Reste aus dem Reifen geangelt, die Lotte ihr gnädig überlassen hat.

​

Und schon höre ich da hinten im Zelt eine handfeste Streiterei, weil erst ein Netz futterbereit ist, das sich beide teilen müssen. Lottes Hufe knallen auf den Boden und stellen klar, dass sie auch an Rosies Latz landen könnten: Das Netz futter‘ ich ganz alleine leer, nur damit ihr BESCHEID wisst! Ihr Po rempelt die Schwester grob weg. Sie könnte sich wehren, ist schwerer und kann ungeheure Kräfte entwickeln, die man der sanften Schönen gar nicht ansieht. Aber sie tut es nicht. Die gerade so verquere Lotte ist ihre kleine Schwester, die sie von Anfang an wie eine Tochter beschützt hat. Niemals würde sie sie zurücktreten, lässt sich lieber vertreiben statt auf ihrem Recht zu bestehen. Friedensstifterin.

​

Nun steht sie dort auf dem Sandplatz, lässt die Ohren hängen, ist hungrig und traurig. Das geht mir richtig an die Nieren. Komm, Rosie, wir gehen zusammen noch einmal hin. Lotte lässt es zu, dass ich mich mit Rosie um das zweite Heunetz kümmere und knabbert betont unschuldig an ihrem Heusack herum. Als beide Netze hängen, kann ich mich gut zwischen die Esel schieben und sie versöhnlich durchknuddeln, meinen Blick immer auf Lottes Ohren gerichtet. Dabei passe ich gut auf, keine der beiden zu bevorzugen. Und endlich kehrt Ruhe ein im Weidezelt. Was ist das schwierig an diesen Tagen.

 

25. Oktober 2024

Collage_20241026_130702.jpg
IMG_20241026_062920.jpg

Wes Geistes Kind

Es ist alles so friedlich heute Morgen im Weidezelt. Die Eselschwestern vertragen sich wieder, es ist still. Nur ab und zu segelt ein trockenes Blatt aus den Baumwipfeln herunter durch die noch immer belaubten Kronen, klackert leise, wenn es andere Blätter berührt.

Da ist sie wieder, diese tiefe Zufriedenheit. In der Mitte des Wortes steht nicht von ungefähr das Wort Frieden. Innerer Frieden.

Jetzt noch eben im Nachbardorf das täglich‘ Brot holen und dann sollte ich meine Welt fürs Erste im Döschen haben.

​

Aber schon vor der Bäckerei wird mein innerer Friede empfindlich gestört. Aufgeblasene Riesengeister schmachten mit langen dürren Armen zu mir herunter, ihre Gefährlichkeit unterstreicht grelles Blinken. Ach ja, denke ich, das hatte ich ganz vergessen. Schon in der Woche vor Erntedank hatte der Bäcker das Gruselkabinett aufgerüstet, inklusive Grabesröcheln irgendwo links unten an der Theke. Es ist zum Glück nicht mehr da, lenkt aber jetzt auch nicht mehr von dem bösartigen Clown mit den leuchtend roten Augen und dem uralten Kinderwagen ab, der mit Spinnenweben überzogen im Cafébereich steht. Hineinschauen werde ich ganz sicher nicht. Mich gruselt und anders als viele andere Menschen mag ich das nicht. Ich war schon immer etwas zarter besaitet als andere.​

​

Gestern war ich in einem großen Paderborner Supermarkt. Dort wurde nahe dem Eingang Halloweendekoration neben Gebäck feilgeboten, das wir mit Weihnachten verbinden. Ein Junge stürmte mit glänzenden Augen hinein und rief: Papa, Halloween IST noch. An WEIHNACHTEN! Da war jemand sehr glücklich, dass er das Fest noch nicht verpasst hatte. Nein, mein Herz, am Reformationstag, dem Abend vor Allerheiligen. All hallows eve.

Wenn Menschen auf Halloweenpartys die leeren Hülsen Untoter heraufbeschwören, die nach ihrem körperlichen Tod nicht zur Ruhe gekommen sind, zünde ich Kerzen an, um meiner Überzeugung Ausdruck zu geben, dass die guten Seelen meiner verstorbenen Liebsten ihren Weg aus der Dunkelheit des Todes hinein ins ewige Licht gefunden haben.

Und wenn Kinder von Haus zu Haus gehen, um unter Androhung von Sauereien Süßes einzufordern, versuche ich, die kleinen geschenkten Wunder zu betrachten, die diesen inneren Frieden schenken. Zum Beispiel die beiden kleinen Gottesgeschenke auf vier Pfoten, die in meiner Abwesenheit mein noch warmes Bett geentert haben und mir jetzt aus braunen Augen vertrauensvoll entgegenblicken.

​

26. Oktober 2024

Holzöfen

Seit der Tag-Nacht-Gleiche im September verbringe ich im Eselgarten mehr Zeit im Dunkeln als bei Tageslicht. Das heißt, wenn ich morgens zwischen fünf und sechs Uhr komme, ist es noch dunkel und bei der Abendfütterung ist es das wieder.

Entsprechend halte ich mich kaum mehr dort auf, denn in der Hütte ist  jetzt alles kalt und feucht. Hätte ich doch nur ein kleines Bolleröfchen dort, auf dem ich auch kochen könnte! Abgesehen davon, dass ich den Eigentümer noch nicht um Erlaubnis gefragt habe, ist dafür auch kein Geld übrig. Dabei werden jetzt in den Kleinanzeigen zu Hauf diejenigen sehr günstig angeboten, die wegen der herabgesetzten zulässigen Emissionswerte ab Januar nicht mehr betrieben werden dürfen. So ein kleiner Norweger mit Platz für einen Kochtopf wäre ein absolutes Glanzlicht für mich!

Dem Hüttchen würde der Ofen ordentlich einheizen, darauf ein warm duftendes Gericht schmurgeln, während das gefüllte Teekesselchen schon in der Warteschleife stünde. Davor lägen die Hunde ausgestreckt auf einem Schaffell. Bettzeug, Handtuch und Matratze wären trocken und ich würde im flackernden Schein des Feuers mit einem Buch pacen. Ja, träume groß, noch einmal.​

​

Stattdessen bin ich wieder häuslich geworden. Gut, dass mein Holzofen im Wohnhaus noch betrieben werden darf. Das Teekesselchen ist längst dorthin umgezogen. Es hält immer heißes Wasser für mich bereit zum Spülen, Putzen oder Waschen. Daneben schmilzt das Wachs ausgebrannter Kerzen, um getrocknete Kiefernzapfen, Nussschalen oder kleine Bündel aus altem Heu darin zu tränken. Sie funktionieren verlässlich als Feuerstarter für das Brennholz im Ofen. Darüber hängt mein Kräuterkranz, an dem auch schonmal die kleine Wäsche trocknet. 

Der erste Schwung Ofenanzünder ist tatsächlich schon so gut wie aufgebraucht. Also spazieren das Lottchen, Josh und ich jetzt bei schönstem Sonnenwetter durch das Feriendorf und sammeln neue Kiefernzapfen. Noch sind sie von der Feuchtigkeit der letzten Tage geschlossen. Wunderwerke an Symmetrie, sie hätten einen Designerpreis verdient! Wenn sie erst auf dem Ofen liegen, verdunstet die Feuchtigkeit, eine Zunge nach der anderen streckt sich unter leisem Knacken, kaum hörbar, in die Luft, bis ein richtig perfekter Zapfen von der heißen Specksteinplatte herunterkullert. Mit der dünnen Wachsschicht überzogen und auf Backpapier getrocknet, zischelt er schon bald im Ofen, um die nächsten Holzscheite zu entfachen.

3. November 2024

Collage_20241104_151009.jpg
Collage_20241104_132444.jpg

Küchenhilfe

Heute hole ich mir als Stehhilfe für die Küche im Wohnhaus einen höhenverstellbaren Rollhocker aus Paderborn. Lange habe ich danach auf Kleinanzeigen gesucht. Ich kaufe gerne Gutes gebraucht, um ein wenig Geld, vor allem aber Verpackungsmüll zu sparen. Es gibt genug Plastik auf dieser Welt für die nächsten 1000 Jahre.

Nach drei Stunden auf dem Sofa ist mein Energie-Akku soweit geladen, dass ich starten kann. Weil Lotta und Josh mit nach draußen drängen, packe ich sie mit ein und los geht's.

Die Adresse ist einfach zu finden, aber das Haus hat vier Geschosse, und der Name der Verkäuferin steht ganz oben, oje! Da komme ich nie rauf, denke ich, als ich durch die spiegelnde Glasscheibe der Eingangstür den Rollhocker mit der Verkäuferin hintendran die Treppe herunter auf mich zukommen sehe. Wie kann man sich so freuen! Ich hatte ihr geschrieben, wieso ich den Hocker brauche, und sie hatte prompt geschaltet. Wie empathisch und lieb ist das!

Ich teste den Sitzkomfort direkt vor der Haustür unter herbstbunten Bäumen und möchte gar nicht mehr aufstehen, denn mein Akku hat sich verflixt schnell wieder entladen.

Aber ich kann hier ja nicht ewig herumsitzen und wollte doch auch noch irgendwas anderes erledigen. Ich konnte heute mehrschrittig planen, kann es aber nicht mehr umsetzen, - einfach vergessen. Wie gut, dass mein Lieblings-Edeka und der Eselgarten auf dem Rückweg liegen. Ach ja! fällt es mir wieder ein, als ich auf sie zufahre: Einkaufen, Füttern und dann Futtern, jetzt mit der neuen Küchenhilfe.

Unterwegs brauche ich aber doch noch eine Pause. Die Hunde wollen sowieso mal raus aus dem Auto. Und so gerate ich auf einen Pfad entlang der Sauer mitten in Lichtenau, knapp fünf Kilometer von zuhause entfernt, den ich noch nie gegangen bin, obwohl ich seit mittlerweile fast achtzehn Jahren in den Lichtenauer Dörfern wohne.

Ich bin ganz verzaubert von dieser besonderen kleinen Welt, dem flachen breiten Flussbett. Das klare Wasser rinnt in der Sonne glitzernd über die Steine und wirkt so ... fröhlich. Uralte Baumwesen, verknöchert und verwachsen, säumen seinen Lauf und neigen ihre Äste darüber. Tiiiief durchatmen. Hier klärt sich der Kopf wieder und Lotta und Josh begeistern sich für die vielen neuen Düfte, die fremde Tiere an Zweigen, Büschen und Gras abgestreift haben.

Heute ist nach schwierigen Wochen mal wieder ein guter Tag.

​

4. November 2024

Himmel un Ääd, die zweite

Es lässt mir keine Ruhe. Ich will wissen, ob ich näher dran komme an Omas Himmel un Ääd.

Also werden nochmal Kartoffeln geschält, gestückt und gekocht, kurz vor dem Erreichen des Garpunktes ein gewürfelter Apfel mit ins gleiche Kochwasser geworfen, abgegossen und dann mit Butter und etwas von dem Wasser zu Püree gestampft. Gewürzt wird dieses Mal klassisch mit Pfeffer, Salz und Muskatnuss.

Ich hebe noch etwas Frischkäse und die Hildegardklassiker Bertram und Galgant zum Ausgleich möglicher Ernährungsfehler darunter. Zu Kartoffeln hat sich die Kirchenlehrerin des 12. Jahrhunderts nicht geäußert. Sie kannte sie nicht. Es könnte also Ernährungsfehler sein, zumal auch Ernährungsdoc Riedl nicht übermäßig begeistert von ihnen ist. Zuviele Kohlehydrate und zu wenig andere Nährstoffe. Also eher wertlose Sattmacher. Drüber kommen heute noch Salbei und Walnussbruch, denn ich brauche etwas zu beißen.

Uuuund?

Jawoll, DAS schmeckt nach Omma, nach Kindheit und nach mir! Ich bin richtig zufrieden und habe endlich den Kopf wieder frei für das nächste Projekt.

 

Das ist heute mein vergilbter Türkranz vom letzten Jahr. Frisches Grünzeug gibt es ums Wohnhaus herum reichlich. Die Eiben im Park, die regelmäßig in Form geschnitten werden, sehen schon wieder ganz schön struppig aus. Da kann ich mir doch das eine oder andere Zweiglein mopsen. Das Lottchen und Josh schauen einigermaßen interessiert zu, bis sie die Triebe - Gott sei Dank - als ungenießbar links liegen lassen. Bevor man sich um so unnützes Zeug kümmert, kann man doch besser im Gras herumschnüffeln, wo die Feriendorfkatze Duftspuren gesetzt hat.

In den letzten Jahren habe ich reichlich Rosmarin in den Garten gepflanzt, der jetzt beim Schneiden würzig duftet. Und hinten an der Hecke vertikutiere ich ein paar klitzekleine Moosplacken aus der Wiese heraus. Fällt überhaupt nicht auf. Alles lege ich, gekrönt von intensiv rot leuchtenden Heidezweigen, mit dünnem Wickeldraht um den Kranz vom letzten Jahr herum. Gefällt mir!

Jetzt stellt sich die Frage: mit oder ohne Schleife? Die Wichteltür neben dem Ofen wäre ohne den winzigen Kranz mit der noch winzigeren roten Schleife ja überhaupt keine richtige Weihnachtstür! Andererseits will die Schlüppe irgendwie nicht mit der Erika zusammengehen. Hm. Die Nachbarin fragen. Sie ist Team Pro Schleife. Was nun? Ich bemühe mich um einen Kompromiss und entscheide, dass die Schleife dem Kranz im Advent den nötigen Weihnachtwichtelcharme aufdrücken darf. Bis dahin bleibt er Herbstschmuck.

​

6. November 2024

Collage_20241107_121639.jpg
IMG_20241031_133219.jpg

Vorbereitungen

Die Zeit im Eselgarten geht nun auch für die Esel bald ihrem Ende entgegen. Das macht mich etwas traurig und ich vermisse schon jetzt den Eselsommer mit der Nähe zu meinen beiden Süßen schmerzlich. Aber irgendwann, wenn der feuchte Boden großflächig rutschig wird, die Hufe aufweichen und die vom Fressen nassen Gesichter in der Kälte nicht mehr trocknen, weiß man, dass es Zeit wird für den Winterstall.

​

Die Vorbereitungen für den Umzug laufen schon seit Wochen. Die erste Ladung Holzpellets ist in einer ausrangierten Waschwanne  mit Wasser aufgequollen und bereit für den Einsatz als Einstreu.

Ich habe aufgeräumt! JEDES Jahr nehme ich mir vor, nach dem Almauftrieb nach Husen noch einmal wiederzukommen, um Ordnung zu schaffen und dann bleibt es doch bei dem im Ansatz wirklich guten Plan!

​

Seit zwei Wochen steht nun auch die Stalltür offen, damit die abgestandene Luft herausfließen kann. Morgen werde ich noch die letzten Küttel der Esel und den Schwalbenschiet rausfegen, den Mistboy deponieren und den Tränkeeimer vorbereiten, bevor am Montag das Heu für den Winter eingelagert wird.

 

Und dann wird es ernst. Am Dienstag werden Freunde Rosalie und Lotte ins Winterquartier bringen. Schade, dass wir jedes Jahr die Schwalben verpassen. Wenn wir kommen, sind auch sie längst vor Kälte und Regen davongeflogen.  

 

6. November 2024

Grünkohl-Verführung

Vor allem aber muss heute die Batterie des Weidezaun-Stromgerätes ausgetauscht werden. Heute Morgen standen die beiden Ausreißer doch schon wieder zwischen den Hochbeeten. Die silberweiße Lotte leuchtete regelrecht im Dunkeln, während ich ihre tarnfarbene Schwester eher hören als sehen konnte. Da war so ein Geräusch krachenden Holzes. Sie würde doch nicht die Hochbeete..... ?! Meine Stirnlampe beleuchtete dann eine andere Szenerie, nämlich eine Rosie, die vergnüglich am Grünkohl knabberte. Muss sehr hart gewesen sein. Ostfriesische Palmen eben.​

Aber ob die jetzt bekömmlicher sind als das Holz der Hochbeete? Es gibt ja Menschen, die Grünkohl-Smoothies frühstücken. Und merkwürdigerweise soll Hildegard von Bingen, wenn es nach einigen Autoren im Netz geht, geschrieben haben, Grünkohl wirke vitalisierend. Sie verwenden alle dieselben Worte ohne Angabe einer Quelle. Voneinander abgeschrieben? Dabei ist Grünkohl als Weiterzüchtung des Wildkohls erst seit dem 16. Jahrhundert in Deutschland nachgewiesen. Hildegard kannte also auch ihn noch nicht. Und über Kohl an sich schreibt sie, zitiert von Strehlow: Ihr Saft nutzt zu nichts! Sie betrachtet Nahrungsmittel unter dem Aspekt, ob sie Heilswirkung haben oder krank machen, und unterscheidet zwischen dicken und dünnen, kranken und gesunden Essern: Für fette Menschen ist Kohl schädlich, weil er das Fleisch noch mehr aufschwemmt. Für Kranke ist er genauso schädlich. Gnadenlos ehrlich.

Ich selbst dachte bei Rosies kuntergrüner Frühmahlzeit: Leicht

verdaulich geht anders! Obwohl die robusten Raupen des Großen Kohlweißlings meine Grünkohlwedel ja lieben!

Schnell versuchte ich Rosalie und den Grünkohl voneinander zu trennen, ihr den Führstrick umzulegen und sie wieder in den Eselbereich zurückzuführen. Da war aber was los! Die sonst so sanfte Eselin gab Gas, zog, zerrte und trat nach hinten aus, hoppala! Das kenne ich nicht von ihr.

Aber ehrlich gesagt kennt sie auch eine solche Hektik von mir nicht. Und sie tut eigentlich auch nicht Not. Denn ich weiß doch, dass sie von allein mitkommt, wenn ich mich ruhig neben sie stelle und dann langsam die Richtung vorgebe. Da habe ich uns einen Moment lang zu Gegnerinnen gemacht. Druck erzeugt Gegendruck. Ist ja auch bei Menschen so.​

Trotzdem bleibt die Sorge und ich schaue alle paar Stunden nach Anzeichen einer Vergiftung oder Kolik.

Gott sei Dank geht alles gut und im Weidezaungerät tickert schließlich am Abend eine superbrandneue Batterie mit ordentlich Bullenpower zum Schutz der Esel vor ihrem eigenen unbändigen Appetit. Schrecklich.

 

6. November 2024

Collage_20241108_184226.jpg
IMG_20241111_212718.jpg

St. Martin

An die Martinsumzüge meiner Kindheit kann ich mich nicht erinnern. Aber es gibt ein Foto von meiner Schwester und mir, beide mit einer Laterne in der Hand, die mit einer echten, brennenden Tannenbaumkerze beleuchtet wurde. Die Ehrfurcht stand uns ins Gesicht geschrieben. Als wir dann unsere kleinen Stimmchen erhoben, um St. Maaatin zu singen - Mama hätte SCHMETTERN gesagt - wurde ihr, der Rheinländerin, bewusst, welchen Einfluss das Ruhrgebiet auf die sprachliche Entwicklung ihrer Kinder genommen hatte.

Weil ich das Martinsfest so sehr mag - Martin behielt den halben Mantel und die Kinder rühren mich zu Tränen - besuche ich auch heute noch gerne den Martinsumzug durch das Dorf.

​

In diesem Jahr habe ich mir mein Lieblingsnachbarkind – ich habe nur eins, sonst würde ich das so nicht schreiben - für den Umzug ausgeliehen. Immer mehr Familien versammeln sich um die Kirche herum. Lauter kleine Kinder, dick eingepackt, mit bunten Laternen - rote, gelbe, grüne, blaue - und staunend offenen Mündern marschieren Punkt 17 Uhr los und der Martinsmann, der geht voran mit seinem samtenen Umhang und dem coolen Helm auf dem Kopf, durch die Straßen auf und nieder. Es gibt so viel zu sehen, dass keines von ihnen zu singen vermag, obwohl die Musiker des Musikvereins die bekannten Melodien intonieren. Welches Kind kann denn bitte schön die allerschönste Laterne der Welt tragen, dabei laufen und dann auch noch Ich geh mit meiner Laterne singen? Die Eltern kommen auch nicht so richtig dazu, weil sie sich ja immer wieder umsehen müssen, damit kein ergriffenes Kind verloren geht. Sie müssen heruntergeplumste Laternen aufsammeln, die gröbsten Dellen wieder richten, den Wackelkontakt in der Beleuchtung irgendwie zurechtdengeln, die Kleinsten irgendwann tragen und die noch laufenden weiterlocken. Schließlich sollen alle irgendwann am riesigen Feuerkorb ankommen, in dessen Lichterschein Martin seinen Mantel teilt mit dem Bettler, in dem er Christus erkennt, bevor er den Kindern Martinsbrezeln schenkt.

​

Letztes Jahr wurde ich gefragt, ob ich dem Heiligen nicht einen Esel zur Verfügung stellen wollte. Würde ich, aber der würde genauso wie die Kinder mit großen Kulleraugen dem Treiben zuschauen und keinen einzigen Schritt vorwärtsgehen. Man kann ja schließlich nur entweder gehen oder staunen. Weiß doch jeder! Rabimmel rabammel rabumm! Bummbumm.

​

9. November 2024

Abschied in Raten

Ein vorletztes Mal frühstücken die Esel im Huser Garten. Das Herz wird mir schwer. Der dunkle Ruf des Uhus oben im Wald am Hang macht es nicht leichter: Bleibt! höre ich.

​

Aber in Dalheim gibt es auch einen Uhu! Er ist den Eseln in zehn Wintern vertraut geworden und vielleicht freuen sich die drei ja, sich wiederzusehen? Die Stalltür ist immer geöffnet und wenn Rosalie und Lotte etwas Interessantes draußen hören, werden erst die Ohren gespitzt, intensiv gehorcht, dann ein paar Schritte zur Tür gemacht. Wenn die Geräuschquelle schließlich geortet ist, laufen sie in die Nacht hinaus, bringen sich in optimale Stellung, um ganz und gar zu hören. Zuzuhören. Den Tieren der Nacht.

​

Doch, auch dort wird es schön. Ich habe im Stall ein kurzes Stück Baumstamm, das noch nicht mürbe genug ist, um von den Eselzähnen über Nacht zermalmt zu werden. Darauf werde ich demnächst morgens und abends sitzen, um beim Futtern der Grauen zur Ruhe zu kommen. Habe ich von ihnen gelernt.

​

Mittags werde ich die Hunde dabeihaben und mit ihnen dort spazieren gehen. Ich freue mich, dass sie andere Düfte in ihre Nasen bekommen.

Und ich selbst werde Altvertrautes neu sehen. Doch, es wird schön.

 

Wenn nur Frost und Schnee mich immer hinkommen lassen. Auch im Winterdienst fehlen Arbeitskräfte und das Dörflein Dalheim mit seinen so ungefähr 120 Einwohnern da unten im Nachbartal steht beim Räumen nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste.

​

Also wieder Vertrauen üben, Spikes bereitlegen. Sandsäcke nicht vergessen. Denn letztes Jahr kam das Wasser sehr nah.

 

11. November 2024

IMG_20241112_055903.jpg
IMG_20231015_160654_edit_5478476636143.jpg

Ein Weidezaun zieht um

Jedes Jahr dieselbe Frage: Bringe ich erst die Esel und dann ihren Weidezaun zum Winterstall oder erst den Zaun und dann die Esel.

Ich mache es gern schön für die, die ankommen, egal ob Mensch oder Tier. Also zuerst den Zaun!

​

Die Entscheidung fällt heute nochmal leichter, weil das Eselgelände in Husen nach anhaltendem Regen kaum mehr begehbar ist. Ich muss es auf den Sandplatz und das Weidezelt begrenzen. Schnell die Litze aufgewickelt, Zaunpfosten ins Auto geworfen und ab zum Winterstall.

​

Auch dort baue ich jeden Herbst einen Trail zur nächsten Fichte, nur steht das Dalheimer Exemplar viel weiter vom Stall entfernt, ist viel größer, älter und schöner. Das Aufstellen wird für mich zur Belastungsprobe. Rosalie und Lotte aber lieben es, im Schutz des Baums zu stehen und von dort in den unendlichen Sternenhimmel zu schauen. In dieses enge Tal strahlt kein künstliches Licht benachbarter Dörfer oder gar Städte, weil sie alle hinter irgendeinem Berg liegen.

​

So ist hier in manchen klaren Nächten mit bloßem Auge die Milchstraße zu erkennen. Es ist ein eigentlich unfassbarer Blick ins gigantische, unendliche Universum. Ich halte jedes Mal staunend inne wie ein Kind beim ersten Laternenumzug seines Lebens und bin zutiefst beglückt, weil es mich in diesem Moment auf besondere Weise mit den Eseln verbindet! Einklang.

​

Als der Weidezaun steht und ich zurück nach Husen fahre, muss ich vor einer Unterführung sehr scharf bremsen. Ein Trecker steht dort quer, dahinter eine Kuh, an den Treckerreifen geschmiegt und in Schach gehalten von mehreren Helfern. Für mich sind alle schwarzbunt gescheckten Tiere mit vier Beinen, einer breiten rosa Nase und nach Möglichkeit zwei Hörnern immer erst einmal Kühe. Doch am Trecker erfahre ich vom Jungbauern: es ist ein Rind! Er sollte mit seiner Herde die Weide wechseln, traute sich aber als einziger nicht unter der Straße her und kuschelt jetzt eben mit dem Treckerreifen. Null Herdentrieb. Es gibt immer noch Dinge, die man zum ersten Mal erlebt. Aber auf dem Land muss man mit sowas rechnen! Ich finde, dass man tatsächlich viel zu selten Kühen - oder Rindern - auf den Straßen begegnet. Viel häufiger werden sie ja inzwischen mit Viehanhängern transportiert.

​

Genau so einer nähert sich gerade dem scheuen Rind. Klappe runter, zack, ist es schon eingestiegen ins Rindertaxi und schaut erleichtert, zufrieden, vergnügt hinten raus auf den Weg durch die Unterführung. Schon nach wenigen Metern, direkt hinter dem Tunnel mit dem unheimlichen Hall, trabt es auf die neue Weide. Wie morgen die Esel.

​

11. November 2024​

Vor dem Almabtrieb

Ich möchte unbedingt mit dabei sein, wenn die Zwetschgenknödelbäckerin, der Heuschlepper und die Krippenmalerin mit meinen Eseln zum Winterstall wandern. Der Almabtrieb ist immer etwas ganz Besonderes.

​

Auf dem Weg über den Berg zwischen den Dörfern werden die Esel anstelle von Kränzen Lichterketten tragen, denn wir gehen in die Dunkelheit hinein. So spät im Jahr fand der Abtrieb erst ein einziges Mal statt. Das Wetter hat sich gut gehalten in diesem Herbst.

​

Duftendes Heu wird die Esel und uns erwarten, wenn es nun draußen kalt und dunkel wird. Ein paar Ballen, auf denen wir Wanderer uns ausruhen können, und ein paar Hände voll in der Krippe für die Esel. Ist es erst aufgefuttert, werden sie an unseren Heusofas herumzupfen, sich hier einen Halm herausziehen und dort ein trockenes Blümchen naschen. Ich kenne doch den Appetit meiner Esel.

​

Blümchen wird es auch für uns geben als Sommertee mit Holunderblüten, Wilder Malve, Minze, Melisse, Kornblumen und Brombeere, frisch aufgebrüht zur Erinnerung an den nun zur Neige gegangenen Eselsommer. Dazu als Gebäck Martinsgänse, um die Energiereserven wieder aufzufüllen.

​

Und wenn dann alles gut und richtig ist, werden wir Menschen unsere Spuren forträumen, das Licht löschen und heimfahren zu Hunden, Kindern, Eltern.  Wer sich hier am Stall in dieser Nacht begegnen wird, werden wir nicht erfahren.

Das Licht geht aus, wir geh'n nach Haus', rabimmel...

 

12. November 2024

IMG_20241112_132941.jpg
IMG_20241113_053642.jpg

Angekommen

Die Wirklichkeit kommt meinen Plänen sehr nahe. Nur die Lichterketten halten letztlich nicht an den Eseln. Dafür sind die drei Eselhirten in ihren Warnwesten aber sehr gut zu sehen.

​

Rosalie ist von Anfang an die aufmerksame, treue Vorzeigewandereselstute. Sie und die Zwetschgenbäckerin sind einander vollkommene Gefährtinnen mit ihren offenen Sinnen für alles, was es um sie herum zu betrachten und zu lauschen gibt,- sich selbst genug.

​

Esel Lotte dagegen wird einmal richtig wild. An der Hauptstraße, die wir kreuzen müssen, krachen heute unzählige Autos, dröhnende Trecker und riesige Lastwagen an uns vorbei. Das kennen wir dort so gar nicht. Ist die nahe Autobahn gesperrt? Da bekäme ich als kleiner Esel Lotte auch Angst. Sie zieht alle Register, um sich loszureißen, bockt, zerrt, tritt, steigt. Wenn sie das schafft, stürzt sie womöglich mitten auf die Straße in den Verkehr hinein. Aber da hat sie mit der Krippenmalerin die Richtige an ihrer Seite! Stark, sicher in ihren Reaktionen und beruhigend auf sie einredend, ist sie ganz Frau der Lage, obwohl sich die beiden pausenlos um sich selbst drehen. Zur Straßenüberquerung greife ich mit ins Halfter, aber schon ein paar Meter später ist Lotte der liebste Esel und läuft an der langen Leine neben ihrer Freundin her, die ihr von der Arbeit in der Werkstatt, ihrem geliebten Opa und was ihr sonst noch so durch den Kopf geht, erzählt. Da rotieren die langen flauschigen Ohren mächtig durch die Luft.

​

Der Heuschlepper und ich wandern quatschend hinterdrein und genießen es, in meinem Fall ordentlich japsend, aber doch glücklich, einfach dabei zu sein.

​

Im Winterstall stecken die Esel ihre Nasen sofort neugierig in jede Ecke. Man muss ja schließlich wissen, wer so alles den Sommer über hier war. Bald steigt wohl auch der verführerische Duft nach Martinsgänsen in ihre Nüstern. Ob man da wohl so ein klitzekleines Bisschen von der zuckrigen Nascherei probieren darf? Darf man natürlich nicht, typisch ungerecht. Ich kann sie gerade noch für meine Hirten retten und die Esel wenden sich dann endlich ihrer Krippe zu.

​

Eine Stunde lang sitzen wir dann dort auf den Schaffellen im Heu, wärmen uns am Tee, können uns nicht sattsehen an den futternden Eseln, während es draußen vor der Stalltür stockfinster wird.

Das karge Gewölbe hat Menschen und Esel vor der Witterung schützend aufgenommen wie der geteilte Martinsmantel den frierenden Bettler.

 

13. November 2024

Eselwinter

Im Eselgarten werde ich jetzt nur noch selten sein. Es ist dort ungemütlich geworden und ohne die Esel wirkt er verlassen. Ist er ja auch.

​

Stattdessen werde ich jetzt dreimal täglich in den Winterstall fahren, mich manchmal durch den Schnee kämpfen müssen, um den Eseln ihr Heu herausgeben, den Stall säubern, frisch einstreuen.

Mich auf das Stück Baumstamm setzen und da sein. Ich werde die Esel knuddeln und ihnen schon ganz bald wieder zärtlich ins Ohr flüstern:

 

Ich freue mich auf den Sommer mit euch.

IMG_20231203_181605.jpg
bottom of page