Neue Geschichten aus dem Eselgarten
ab 27. Juli 2024
Frühstück mit Freunden
Gesegnet!
Schon frühzeitig bin ich nach der Nacht bei den Eseln wieder in meinem kleinen Wohnhaus hoch über dem Altenautal. Da unten im Garten bricht sich zwar gerade die Sonne durch die Wolken und diese Morgenstimmung liebe ich ganz besonders. Aber mich haben Realitäten eingeholt, die keinen Aufschub mehr zulassen, egal ob ich im Crash bin oder nicht. Der Rechtsstreit mit der Deutschen Rentenversicherung um die Erwerbsminderungsrente erfordert fristgerechte Stellungnahmen und Unterschriften.
Vor der Haustür wartet eine Überraschung auf mich, direkt neben dem handbemalten Schild Bin im Eselgarten. Eine Freundin aus Münster hat das nächste Care-Paket geschickt. Während des Frühstücks auf der Terrasse packe ich aus, in Gedanken ganz bei ihr, die mich schon seit 25 Jahren kennt und mit der mich ein warmes Gefühl im Bauch verbindet: Lektüre für Crash-Zeiten. Wie aufmerksam und anrührend ist das denn wieder?
Das Eselchen Grisella kann warten, Michelle Cohen Corosantis Der Junge, der vom Frieden träumte zieht mich nach Palästina mit all seinen Zerwürfnissen und Traurigkeiten.
Mein Geist bekommt Flügel und Futter: Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht! Das ist die Lehre der ganzen Thora. Alles andere ist nur Erläuterung - und nun geh hin und lerne sie. Das Zitat von Rabbi Hillel, der lebte und lehrte, als Jesus geboren wurde, ist Leitwort des Romans und liebevolle Mahnung. Die jüdische Thora steckt auch in der christlichen Bibel. Es sind die ersten fünf Bücher, die Bücher des Mose.
Später ein weiteres Geschenk, eine Spende, mit der ich den Schotter für das Pflaster bezahlen kann, das ein Nachbar ab Montag im Weidezelt verlegen wird. Ich kann es kaum erwarten. Für beides bin ich zutiefst dankbar.
Ich bin mit Freunden gesegnet!
27. Juli 2024
So müssen Eselhufe stehen!
Wohlgetan!
Ich mochte den Naturboden im Weidezelt, doch! Wäre es nur in den letzten beiden Sommern weniger nass gewesen, hätte er nicht so gelitten. Zerfurcht ist er, regelrechte Krater sind hineingegraben auf der Suche nach schmackhaften Wurzeln. Eine ausufernde Pieselstelle haben sie zu allem Überfluss dort angelegt, weil sie in regenlangen Nächten nicht vors Zelt gehen mochten. Wer könnte die Esel nicht verstehen?
Aber als Futterplatz taugt der Boden nicht mehr, nein, nicht einmal mehr zum trocken Herumstehen. Rosalies Hufe sind zerfressen und verätzt, eingerissen und gebrochen. So getraue ich mich kaum mehr, den Hufschmied einzulassen.
Die Spende des Freundes für Schotter kam gerade zur rechten Zeit; Pflastersteine gibt es bei Kleinanzeigen für Selbstabholer geschenkt. Ein Nachbar holt zwei Tonnen davon und verlegt sie für die Esel.
Schubkarre um Schubkarre schiebt er sie stundenlang an den Eseln vorbei in ihr Zelt, kaum beachtet, die beiden ruhen fast den ganzen Tag. Wissen sie eigentlich, dass in sehr vielen Ländern dieser Welt SIE Schotter und Steine schleppen würden?
Am Abend die sehr sorgfältige und langwierige Inspektion durch die Fellnasen mit gutem Ausgang: sie nehmen den Boden ab. Stehen kerzengerade. Sehen so gesund aus. SO müssen die Hufe der Tiere aus der Steinwüste stehen. Welche Wohltat schon allein beim Zuschauen. Ich bin unendlich erleichtert.
Auch wenn ich den Waldboden schöner fand.
29. Juli 2024
Wachen und Ruhen
Ausgeglichen!
Der Wach- und Ruherhythmus der Hunde ist überzeugend einfach wie wirkungsvoll. Sie schlafen bis zu 14 Stunden, ältere Hunde, zu denen mein kleiner Lottahund zählt, sogar bis zu 20 Stunden am Tag. Josh macht da gerne mit. Das Pensum verteilen sie auf den Hauptschlaf in der Nacht und mehrere Powernaps am Tag. Genau wie ich! Wenn ich mich an sie anpasse, sind wir alle drei angemessen gefordert und gleichermaßen entspannt und ich halte meinen Status quo.
Und so fahre ich auch heute morgen mit den beiden zwischen Nachtschlaf und Vormittagsruhe in eine Feldwegsackgasse, wo wir alle in dem Tempo laufen können, dass unseren individuellen Möglichkeiten entspricht,- in die aufgehende Sonne hinein.
Ich bin wieder die langsamste. Selbst die kleine Bummelhummel Lotta, die mit ihren fast vierzehn Hundejahren umgerechnet schon um die 70 und herzkrank ist, läuft flotter als ich. Josh ist uns längst davongelaufen.. Dafür kann ich wieder in meiner direkten Umgebung versinken. Wer stehen bleibt, dem eröffnet sich eine Welt voller Wunder. Man hört statt des eigenen Schrittes und Atems ein Rascheln, Flöten, Pfeifen, Knacken, Knistern - hier sogar mit Echo. Ich entdecke Eisenkraut, dessen Blätter, als Tee aufgegossen, die Leber beruhigen, die Verdauung regulieren, Halsschmerzen und Husten lindern, Wunden im Mundraum heilen,
entspannen und, als kalter Aufguss, sogar in Cocktails verwendet werden sollen (www.utopia.de). Davon möchte ich einen kleinen Vorrat trocknen. Stelle ich mir mit Salbei, Thymian und etwas Honig gut als Hustentee vor. Entspannt bin ich ja schon.
30. Juli
Echtes Eisenkraut
Herz erwärmend!
Seit dem Nachmittag regnet es. Bis in die Nacht hinein haben die Landwirte gestern rund um den Eselgarten deshalb noch schnell das Stroh gebunden und abgefahren. Die Kornfelder, die bis vor ein paar Tagen noch sommergelb leuchteten, sind jetzt abgeerntet und mit Regen- und Dunstschleiern verhangen. Rehe stehen darauf. Ich schätze, es liegen Getreidekörner zwischen den Stoppeln. Ist es über Nacht Herbst geworden? Mir steht der Sinn nach einem Abend bei Kerzenschein und einer Tasse heißen Tees unter dem Hirtenhüttendach, auf das Regentropfen klopfen. Gemütlich!
Weil der Enders das Teewasser heute drinnen kocht, vorschriftsmäßig gut gelüftet zwischen geöffneter Tür und Fenster, verzichte ich auf Kerzenschein. Meine LED Laterne verbreitet dafür, dass sie eben nur eine LED Laterne ist, heimeliges Licht.
Die kleine Schlotter-Lotta, die in den letzten Tagen oft meinen Schutz sucht, habe ich in ihrem Rucksack verstaut. Der ist ihr vertrauter Schutzraum, seit ich sie als Welpe mit in die spannende Welt hinausgenommen habe, in der mancherorts so viele Menschenbeine unterwegs waren, dass so ein paar hundert Gramm Hund leicht zu übersehen waren. Der Wuschelkopf mit der neugierigen Nase schaut immer aus der Wundertüte heraus. Nur heute nicht. Sie hat sich eingekrümelt und schläft.
Nun also Eisenkrauttee. Die Blätter sind dafür, dass die Pflanzen so filigran wirken, überraschend fest. Duften sie? Ich rieche nichts. Vielleicht beim Aufgießen? Auch nicht. Erwarte ich zuviel, nachdem mich heute Mittag die orientalischen Gewürze eines Zucchini-Dals in heißem Fett betört haben?
Der Geschmack ist sehr mild, ein bisschen blumig? Aber für Cocktails? Da war wohl eher die südamerikanische verwandte Zitronenverbene gemeint. Wie auch immer, ich kann die Unterstützung für meine Leber und all die anderen heilsamen Eigenschaften des Echten Eisenkrauts gut gebrauchen. Und die Atmosphäre, bei einem heißen Tee das schlafende Lottchen auf dem Schoß zu halten, im Laternenlicht der Sinfonie des Regens zu lauschen, der die Juliaussaat in meinen Beeten wachküsst, ist besonders.
Und die Esel stehen trockenen Hufes im Weidezelt. Kleines Glück.
1. August
Wenn du denkst, es geht nicht mehr
kommt von irgendwo ein Felltier her!
Fahrradklingeln wecken mich. Ich bin schon wieder eingenickt. Aber jetzt steht Besuch am Tor zum Eselgarten. Es sind wieder Freunde da! Trotz Erschöpfung freue ich mich. Ich brauche so dringend menschliche Kontakte.
Sie hat einen Schokoladenkuchen mitgebracht, der... wie soll sagen? Diese riesigen Flecken geschmolzener Schokolade! Ich habe für Kaffee gesorgt und natürlich für die Tiere. Für die hat sie nämlich eine große Leidenschaft, die sie auch an ihre Tochter weitergegeben hat. Josh wird sofort ausdauernd gestreichelt, streckt sich unter der sanften Hand, dreht sich auf den Rücken. Vielleicht noch ein bisschen hier links am Bauch? Und weiter vorne... Der kleine Hund ist im Kuschelhimmel, während wir Erwachsenen uns unterhalten. So bekommen wir auch gar nicht mit, dass dem armen glücklichen Kind langsam die Kraft ausgeht. Sie kann kaum noch die Hand über den Hund halten. Ich kenne das. Bevor sie zu den Eseln wechselt, sorgt sie dafür, dass Papa den Streicheldienst bei Josh übernimmt. Denn auf gar keinen Fall darf hier ein Tier ungestreichelt bleiben! Der Lottahund will ja nicht. Dann wird nochmal getauscht: Papa an die Esel und er kennt da wirklich ganz tolle Stellen hinter den Ohren, so dass Rosalie und Lotte wie angewurzelt stehen bleiben, die Unterlippen schlackern locker unter den Mäulern. Papa kann doch tatsächlich beide gleichzeitig kraulen. Wozu hat man zwei Hände?
Es ist alles so entspannt, dass niemand Fotos macht. Die schönsten Sachen erlebt man analog, hat erst vor Kurzem eine Freundin geschrieben.
Und das Zitat mit den Felltieren ist auch nicht von mir, sondern von der Schokoladenkuchenmama. Ich liebe es.
2. August 2024
Die Sonne bleibt oben!
Herausgefordert!
Die Handyversion meiner Geschichten aus dem Eselgarten ist durcheinander geraten, Themen überlagern sich, dazwischen viel Leere. Ich bekomme sie gerade nicht mehr sortiert.
Sie bildet ganz gut ab, was in meinem Gehirn los ist. Da überlagern sich auch die Themen und zwischendurch ist Leere.
Das Durcheinander um die Erwerbsminderungsrente kann ich auch nicht mehr sortieren.
Da schreibt die Neurologin der Rehaklinik im Abschlussbericht, dass ich in der Lage bin, mehr als sechs Stunden täglich zu arbeiten. Weiter unten ergänzt sie die gewichtigen Worte nach Rekonvaleszenz. Ist nicht jeder Kranke nach seiner Rekonvaleszenz wieder gesund, ganz einfach weil Rekonvaleszenz Gesundung meint?
Auf der Bescheinigung für den Arbeitgeber hat sie jedoch vermerkt, dass ich keine zwei Stunden täglich arbeiten kann und entlässt mich arbeitsunfähig. Also erfolgt ganz bald schon meine Aussteuerung.
Jeder Arzt, der den Bericht in die Hände bekommt, auch der von der Deutschen Rentenversicherung, liest erst einmal, dass ich wieder arbeiten kann, und muss davon ausgehen, dass ich simuliere. Der erste Eindruck entscheidet? Liest er dann wohl weiter bis ganz hinten, wo steht, dass ich nicht rehafähig war, mein Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt ist, ich verlangsamt auf Reize reagiere und mir das Muskelaufbautraining geschadet hat?
Es kostet viel von der kaum vorhandenen Kraft, resilient zu bleiben in der verdrehten Post-Covid-Welt. Wenn die Widerstandskraft nachlässt, gerät man schnell in den Strudel von Ausweglosigkeit und Verzweiflung. Aber nichts da! Damit ist niemandem geholfen. Vor allem mir nicht. Also weiter machen. Stellungnahmen schreiben, widersprechen, kämpfen. Den mentalen Crash in Kauf nehmen und, besser noch, einplanen.
Zwischendurch ab in den Wald, um den Kopf zu lüften.
Und außerdem stehen hier neben mir zwei Esel, die hungrig in das kurze Stück Holzzaun zwischen uns beißen, das ich doch gerade mit Huföl eingestrichen habe, das die beiden wirklich nicht ab können. Um genau das zu verhindern. Nämlich dass sie den Holzzaun aufessen. DIE sind offensichtlich wirklich verzweifelt. Also nicht jammern jetzt. Esel füttern und dann mit den Hunden vor die Gartentür, wo nach einer dreistündigen Regenflut die Sonne gerade wieder durchbricht. Und das wird sie immer wieder tun. Die Sonne bleibt oben schreibt Clara Pfänder, Gründerin der Kongregation der Franziskanerinnen von Salzkotten. Auch in meinem ver-rückten Leben.
3. August 2024
Wandersteine
Aufmerksam!
Ob ihn schon jemand gefunden hat? Ich habe den bunt bemalten Stein in eine Baumhöhle gesteckt, ganz nah an einem Picknickplatz an der Altenau.
Er ist noch da, es dämmert schon, die Sonne ist verschwunden und zieht einen rotglühenden Streifen am Himmel hinter sich her. Fast tut es mir leid, dass der Stein jetzt hier übernachten muss. Heute kommt bestimmt niemand mehr vorbei. Einen Eselkopf habe ich darauf gemalt, umgeben von bunten Sternen. Den Stein haben Rosalie und Lotte auf dem Sandplatz freigewälzt. Sobald sich der aufwirbelnde Staub wieder legt, werden die weichen Bruchstücke von Kalkstein auf dem Boden sichtbar. Die Kanten sind schön geschliffen. Auf die Rückseite habe ich longcovidhx.de Wandersteine geschrieben. Das ist die Adresse der Selbsthilfegruppe für an Long Covid und ME/CFS Erkrankte, unter der Finder den Fundort notieren können. Die Gruppe verbindet Menschen in mittlerweile ganz Deutschland miteinander.
Uns Wanderstein-Bemalerinnen aus der Kreativgruppe gibt es eine Beschäftigung, die Spaß macht, uns an die Grenzen unseres kleinen Aktionsradius' gehen lässt und hoffentlich den einen oder die andere Betroffene auf die Gruppe aufmerksam macht.
Schlaf gut in deiner Höhle, kleines Sterneneselchen.
5. August 2024
Dorfkinder
Natürlich!
Die Natur steht nahezu still. Viele Gemüsepflanzen, Sträucher, Kräuter und Bäume stecken ihre Kraft kaum noch ins Wachstum. Sie konzentrieren sich auf das Reifen der Früchte. Die ersten Hartriegelblätter werden rot, die des Apfelbaums gelb. Der Spatzenschwarm hat mit der Ernte des Getreides ringsum den Eselgarten verlassen und zieht dem Futter hinterher. Ich vermisse ihr Lärmen morgens, bevor sie auszogen, und abends nach ihrer Rückkehr in die Zwetschgenhecke ganz nah an meinem Schlafplatz in der Hütte. Sie erzählten dann alle lauthals durcheinander. Es ist so still geworden ohne sie. Eine aufgeplusterte Amsel ist da geblieben, hüpft mit einem Stück Regenwurm im Schnabel um die kühle Kuhle herum, neigt den Kopf, schaut mich neugierig von der Seite an. Ob es der Wurm Grabowski ist, der den Boden dort so schön gelockert hat?
Am Himmel hört man jetzt das Pfeifen der Baumfalken, die im Eselgarten aufgewachsen sind. War das schön, als sie von Fichte zu Fichte das Segeln übten.
Gott sei Dank gibt es die Dorfkinder! Sie haben Ferien und wer nicht weggefahren ist, kreuzt mit dem Fahrrad hier und dort auf. Dorfkinder sind im ganzen Dorf zuhause.
Dorfkindern ist nur ganz kurz langweilig. Über kurz oder lang findet sich immer etwas zu tun. Bei dem Jungbauern auf dem Feld, bei kleinen Hunden im Feriendorf oder bei Lisa im Eselgarten. Hier müsste auch mal wieder Rasen gemäht werden, gibt eines zu Bedenken. Da hat es aber auch wirklich Recht. Durch den Starkregen und die anschließende Wärme hat er nochmal so richtig Gas gegeben. Frühlingsgefühle.
Dorfkindern muss man nicht erklären, wie so ein alter Benzinmäher funktioniert. Noch bevor man den Benzintrichter aus der Hütte gewühlt hat, rattert das Ding schon souverän seine erste Bahn, ein Dorfkind hinten dran.
Dorfkindern sagt man einfach Ich bin im Crash und sie wissen Bescheid, warum der Rasen so lang geworden ist. Es ist eben wie es ist.
Und mit Dorfkindern stellt man flugs die uralten Zelte auf, mit denen man selbst in einem anderen Leben nach Frankreich gewandert ist. Sie haben auch mal Bock zu zelten. Ob sie das durchziehen? Sie haben neulich den Beachy gesehen. Sowas kriegt man mit im Dorf.
6. August 2024
Noch 'n Gericht
Betörend!
Mit orientalischen Gewürzen zu kochen, ist berauschend! Sobald sie im heißen Fett schwitzen, steigt dieser Duft auf, den man mit tausend und einer Nacht verbindet. Goldbestickte hauchdünne Tücher auf dem Basar tauchen vor dem inneren Auge auf, Tee aus marokkanischer Minze, heiß und süß, leidenschaftliche Liebesgesänge, die virtuosen Klänge der Oud (weiß ich von dem Jungen, der vom Frieden träumte), Dattelgebäck und eben diese Duftwolke über dem Verkaufsstand mit großen Körben voller Kardamom und Koriander.
Das geht auch im Eselgarten, der immerhin im nahen Osten Westfalens liegt. Zucchini-Linsen-Dal heißt das Gericht und die Zubereitung geht so (Rezeptquelle nicht mehr auffindbar):
Ich schneide ein Stück Ingwer, eine Knoblauchzehe und eine kleine Zucchini in Stücke und dünste sie in einem Esslöffel langsam erhitzten Olivenöls an.
120 g Linsen, einen Teelöffel voll Currypulver, einen Teelöffel voll Kurkuma und eine Handvoll Erdnüsse schwitze ich eine Minute lang darin an, halte meine Nase darüber, schließe die Augen und lasse diese Bilder vom orientalischen Markt in mir aufsteigen. Bevor die Gewürze verbrennen, komme ich notgedrungen zurück, um einen Viertelliter Gemüsebrühe anzugießen. Alles zusammen lasse ich 15 Minuten lang garen. Dann würze ich mit Pfeffer, Salz und Chiliflocken und verfeinere das Gericht mit 200 g Schmand. Ab in die Schüssel, eine Handvoll gehackte Petersilie darüberstreuen und dann schmelze ich dahin wie der Schmand.
7. August 2024
Zelte
Da lachst du dich kaputt, das nennt man Camping!
Da lachst du dich kaputt, das nennt man schön.
Wenn im Zelt die Mücken und die Hummeln dich verjücken
und du kannst nicht raus im Reg'n.
(Karl Berbuer)
Das soll mein Vater früher gesungen haben, natürlich original rheinisch. Sagte meine Mutter. Sie kam aus Düsseldorf, hatte aber leider den rheinischen Singsang im Alltag abgelegt, sobald ihre Kinder in den Kindergarten gingen und anfingen zu ruhrdeutschen.
Mein Vater hat dann das Wort Camping, anders als in dem Lied, deutsch ausgesprochen: Zamping! Auf seinem Schreibtisch fand ich als Kind mal gezeichnete Entwürfe für die Inneneinrichtung eines Wohnwagens. Leider ist es bei den Plänen und Träumen geblieben, die damit einher gegangen sein werden.
Er hätte das gekonnt und wäre damit seiner Zeit weit voraus gewesen. Heute gehört der Ausbau eines Wohnmobils ja schon fast zu den drei Dingen, die Mann und Frau in ihrem Leben getan haben sollten.
Nun wollen also die Dorfkinder im Eselgarten zelten. Aber - Überraschung - es schüttet wie aus Tränkeeimern vom Himmel, es zuckt und donnert. In der Stadt nebenan ist ein Baum abgebrochen. Von anderen hat eine Naturgewalt Laub, Zweige und Äste heruntergezerrt. War hier ein Tornado unterwegs?
Und du kannst nicht raus im Reg'n. Es sind neue Gewitter angesagt. Zelten im Regen ist Abenteuer. Zelten bei Gewitter ist gefährlich.
Ob sie morgen...?
Einen Tag später. Sie sind gekommen. Es ist ziemlich spät geworden, nach 21 Uhr, es dämmert schon, und sie müssen auch gleich nochmal weg. Zuhause hat eine Kuh gekalbt. Das Kleine müssen sie noch aus der Wiese holen. Tagsüber darf es bei der Mama bleiben, aber nachts muss es rein.
Die erste Ausrüstung ist schon im Zelt: Sitzauflagen als Matratzen, Ansitzsack, Wolldecken und Powerbank. Papas Super-Taschenlampe bringen Sie gleich mit der zweiten Rutsche mit.
Wenn das Kalb aus der Wiese ist.
Es waren zwei. Zwillinge wie die Dorfkinder. Hat etwas länger gedauert. Aber sie kommen trotzdem noch rein in die Hirtenhütte, um im Schein der LED Lampe gemütlich zu quatschen und die Hunde zu streicheln. Eigentlich würde das eine Dorfkind den Jumjum-Josh gerne mit ins Zelt nehmen. Wenn Josh denkt, es geht nicht mehr, kommt irgendwer zum Streicheln her!
8. August 2024
Mischkultur
Hunderunde mit Wandersteinvisite. Das Sterneneselchen ist noch da, wurde aber bewegt. Gefunden, gefreut, gepostet, zurückgelegt?
Ein Feldweg, rechts und links Maisfelder. Links konventioneller Anbau. Der Mais ist kräftig hochgewachsen, dunkel. Die Stängel der äußersten Reihe mit zarter Ackerwinde berankt. Ansonsten gähnende Leere. Als ich zwischen den Kornfeldern dahinspazierte, dachte ich an Brot, Krusten auf Gemüseschnitzeln, Müsli mit Haferschrot. Wenn ich mir dieses Maisfeld ansehe, passiert bei mir gar nichts. Das wird mich nicht ernähren. Na ja, doch, wenn es durch die Kuh durch ist. Ich esse ja Milchprodukte. Rechts ein ganz anderes Bild. Der Mais wirkt jünger, ist heller grün, die Pflanzen sind kleiner. Dazwischen wimmelt das Leben. Sehr viel Beifuß. Und, Moment, sehe ich richtig? Ja, tatsächlich! Stangenbohnen ranken am Mais empor, blühen oben, tragen unten unter satten Blättern schlanke Früchte gerade richtig für die Ernte. Wie genial ist das denn? Ich habe schon von Indianerbeeten in Gärten gehört, in denen die Bohnen den Mais als Rankgerüst nutzen. Auf dem Boden dazwischen sollen dann Kürbisse wachsen. Aber in großem Stil auf dem Acker ist mir das noch nicht begegnet. Die Bohnenpflanzen produzieren an kleinen Knöllchen an den Wurzeln Stickstoff, womit sie dem Boden zurückgeben, was der Mais ihm entzieht, laienhaft ausgedrückt. Zwischen dem Futter aus geschreddertem Mais liefern sie dem Vieh außerdem reichlich Eiweiß. Der Biobauer treckert an mir vorbei, hält an, stellt den Motor aus. Ein kleiner Schwatz ist fällig, in den meine Begeisterung über seinen Acker der Vielfalt einfließt. Er freut sich über die Anerkennung und erteilt mir zur Belohnung die Generalerlaubnis, Bohnen für den Eigenbedarf zu ernten. Gesagt, getan. Es gibt Bohnen mit Kartoffeln. Die Freundin aus dem Nachbardorf hat mir Bohnenkräuter für den Garten geschenkt. Etwas Butter dran, vielleicht sogar mit Beifuss, der ja dazwischen wächst, etwas Salz und schwarzen Pfeffer. Ein Gericht, so einfach wie lecker. Die kleinen Dinge...
9. August 2024
Kleine Raupe
Beinahe wäre es eine kleine Raupe Immerplatt geworden. An der Lehne meines Korbsessels ist sie angeheftet, neben sich ein feines Gespinst zwischen den geflochtenen Weidenzweigen.
Ich wollte mich gerade hineinsetzen. Hatte die Brille nicht auf. Noch eben das grüne Ding wegstreichen, kaum so lang wie mein Daumen breit ist. Aber es lässt sich nicht wegstreichen, hängt fest, verwoben mit der Lehne.
Erst auf dem Foto erkenne ich in der Vergrößerung einen Flügel. Es ruckelt sich wieder in die Senkrechte. Ich hatte es ein wenig verschoben. Jetzt wird ein Muster auf dem Schleier der alten Haut sichtbar. Symmetrisch, geheimnisvoll. Wenn ich den Schlupf nicht gestört, das Wesen nicht zerstört habe, geschieht in den nächsten Stunden die Verwandlung der Raupe in einen Schmetterling. Die Welt voller Wunder.
Es wurde Abend, es wurde Morgen, nächster Tag. Es ist noch immer eine Puppe. Ein altes Wesen legt man nicht von heute auf morgen ab.
13. August 2024
Krautbund
Im August reifen auch die Wildkräuter. Sie erleben ja in den letzten Jahren eine regelrechte Renaissance, vor allem in der Küche. Aber auch damals, als Frauen noch ganz selbstverständlich wussten, welches Gewächs den Kindern bei Bauchschmerzen half, wie man es anwandte und in welcher Dosierung, sammelte man sich spätestens bis Mitte August seine Hausapotheke zusammen.
Eine von diesen heilkundigen Frauen war und ist die Salzkottenerin Beate von Sobbe. Jahr für Jahr ist sie Hauptakteurin des Krautbundfestes im LWL-Landesmuseum für Klosterkultur. Sie passt gut in den klösterlichen Kräutergarten, auch wenn sie als Frau zu Klosterzeiten hier niemals hätte stehen dürfen! Und doch ist sie diejenige, die das Wissen leidenschaftlich in unsere Zeit hineinträgt. Juckte sich zu ihrer Zeit ein Kind am Po, hatte es wohl Würmer und Mama gab ihm ein Knöpfchen Rainfarn, das es ohne zu kauen ganz schnell herunterschlucken musste, bevor sich der bittere Geschmack im Mund ausbreitete. Soll auch Hunden helfen. Und Eseln? Aber wieviel von dem Kraut? Die Dosis macht das Gift.
Aus Johanniskraut wurde das Rotöl gewonnen, das malträtierte Bandscheiben abheilen ließ. Die Pharmaindustrie war noch nicht so weit. Trotzdem wusste man sich zu helfen.
Die Krautbunde trug man in die Kirche, um sie segnen zu lassen. Was der Schöpfer da am Wegesrand scheinbar nebenbei geschaffen hatte, brachte zwar schon per se in vielen Krankheitsfällen Linderung oder gar Heilung. Wenn dann aber der Priester noch gute Worte und Gebete darüber sprach, wirkten die heilsamen Substanzen gleich noch einmal besser auf Körper, Geist und Seele.
Die Heilkräuterernte fiel mit einem kirchlichen Festtag zusammen, an dem noch heute der Aufnahme Mariens in den Himmel gedacht wird, dem 15. August. Die Legende besagt, dass die Jünger nach dem Tod Marias zusammenkamen, um sich von ihr zu verabschieden. Als sie den Sarg öffneten, siehe da, sollen statt des Leichnams nur noch die wohlduftenden Kräuter darin gelegen haben, die man gern mit in die Särge legte.
Und so feierte man die Krautbundweihe am 15. August oder dem darauffolgenden Messtag. Das Bund kam nach dem Kirchgang hinters Kreuz, in den Herrgottswinkel oder zwischen die Sparren im Stall, wo sie nicht nur Krankheit, sondern auch Blitzschlag abwehren sollten. Den Wunsch kann ich verstehen! In den letzten Tagen flogen einem ja manches Mal die Blitze um die Ohren.
Der Brauch hat in vielen ostwestfälischen Dörfern überlebt. Ich liebe ihn. Mein Krautbund ist zwar schon überwiegend gerupft, getrocknet und eingedost: Kamille, Eisenkraut, Dost, Thymian, Minze, Melisse, Malve, Kornblume, Holunderblüte,... Aber es fehlen die Wegwarte und die Wilde Möhre. Also ab in die Drogerie am Wegesrand.
15. August 2024
Zucchini zu verschenken
Die Nachbarn oberhalb hatten schon Anfang der Woche welche bekommen. Die Holländer direkt neben mir ebenso. Sie wollen jetzt erstmal wieder etwas anderes essen, nachdem es zwei Tage hintereinander Zucchinipfanne gab. Es habe aber gut geschmeckt, sagen sie, mit Paprika und Zwiebeln. Die eine Freundin im Dorf hat mir drei oder vier abgenommen und eingekocht, die andere gerade leider welche im Supermarkt gekauft. Die Nachbarin unterhalb mag das Gemüse nicht und die Freundin im Nachbardorf sagt entschieden Nein. Sie hat selbst welche im Garten. Wohin nur mit der nicht endenden Zucchiniernte? Das Eselgold gibt aber auch wirklich alles.
Eine Geschenkbox muss her, ausgelegt mit Starkpapier, Schleife drum herum, Früchte rein und dann auf die Bank am Wohnhaus im Feriendorf. Es wird doch wohl Urlauber geben, die hier vorbeikommen und sich über ländliche Zucchini frisch vom Erzeuger freuen!
Ich könnte sie auch im WhatsApp Status anbieten. Aber das hier ist richtig analog, dreidimensional, live! Es macht mir diebische Freude, immer wieder aus dem Fenster zu spitzen. Sind sie noch da?
Es dauert keine zwei Stunden, bis sie weg sind, auch die Box. Oh ja, da hat sich jemand gefreut. Und ich mich auch. Über die Freude der Finder.
Ich habe sehr viele Zwetschgen.
16. August 2024
Schabbatfeier
Leicht!
Ihren Anruf habe ich im Liegestuhl verschlafen. Mein Rückruf erreicht sie noch ganz knapp, bevor sie an Husen vorbeifährt. Leckere Sachen hat sie nach der Arbeit beim Türken erstanden und möchte sie mit mir teilen. Wie schön ist das denn?
Flugs die hübschen Sitzkissen raus auf die Gartenbank, den Tisch davor abgefegt. Für mich selbst hatte ich mir die Mühe heute nicht gemacht.
Zusammen ist der Tisch schnell gedeckt, der Enders kocht mal wieder Wasser im feinen Teekesselchen. Da fällt uns ein: es ist Freitag, der Vorabend zum Schabbat. Die biblischen Tage beginnen mit der Nacht, dem Sonnenuntergang. Es ist also genau der richtige Zeitpunkt für eine improvisierte Schabbatfeier im Eselgarten.
Wir sind aus demselben Holz geschnitzt, müssen uns nur anschauen, um zu sehen, dass wir den gleichen Gedanken haben: ein bisschen Lobpreis singen, ein kurzes freies Gebet und dann das gemeinsame Schmausen, untermalt vom Gequengel des Lottahundes unter dem Tisch, den wir eigentlich gerade erst gefüttert haben. Den Hund. Könntet ihr da oben jetzt endlich ein paar Krümel für herunter fallen lassen? Oder mich vielleicht doch lieber gleich auf den Stuhl setzen, damit ich näher bei den Krümeln bin? Oder doch lieber wieder runter? Sie kann sehr präzise ohne Worte kommunizieren. Die Freundin hatte selbst einen Hund und hat eine Engelsgeduld. Gott sei Dank.
Als Rosalie oder Lotte - wir können sie hinter den Holunderbüschen gerade nicht so gut sehen - jämmerlich zu schreien beginnt, sind wir ruckzuck bei den beiden im Gehege. Asthmaanfall? Wolf in Sicht? Dramatisch genug hat es geklungen. Dabei haben sie nur Appetit. Schmachten die Tür zum Heu-Häuschen an.
Richtig, am Schabbat sollen auch die Esel teilhaben. Also bekommen sie gefälligst auch eine gute Portion Heu, wenn alle anderen zur Feier des Abends essen.
Beglückt gehen wir nach zwei Stunden wieder auseinander.
Ja, schön war das! Und leicht.
16.08.2024
Träume groß!
Eselin Lotte zieht unseren Schäferkarren durch die Heide. Hinter dem kleinen Fenster schaukeln hübsche Baumwollgardinen. Der Klappladen ist festgesteckt, damit er nicht klappert. Oben auf dem Kutschbock hat es sich der Lottahund auf einem Lammfell gemütlich gemacht. Josh umkreist unsere Herde von Skudden. Der knopfäugige, ewig unterschätzte Biewer-Yorkie ist an seiner Aufgabe sichtlich gewachsen, er hat seine Berufung gefunden. Es ist eine Freude, ihm beim Hüten der kleinen Schafe und Lämmer zuzusehen. Seine Aufgabe nimmt er sehr ernst!
Als Hand-Esel führe ich meine schöne sanfte Rosalie mit. Sie trägt ein paar leichte Lasten für mich, die ich griffbereit haben möchte. Die Regensachen, unsere Jause, Trinkflaschen mit frischem Quellwasser. Manchmal steckt auch der Lottahund in einer ihrer Satteltaschen und schaut neugierig heraus. Mehr mute ich Rosies empfindlichen Hufen nicht zu.
Es ist die Zeit kurz vor der Heideblüte. Die ersten Knospen sind schon aufgeplatzt. Zwischen Sandwegen, duftendem Wacholder und Kiefern ziehen wir dahin. Ein paar Zapfen hebe ich auf. Sie sind schön trocken und können mir heute Abend helfen, das Lagerfeuer anzuzünden. Die Schafe futtern die Landschaft in Form, ein paar Zwergziegen gehören auch zur Herde. Wunderhübsch sind sie, braun mit weißen Pünktchen, und ganz wild auf die Büsche und jungen Bäumchen, die hier nicht wachsen sollen. Die Esel helfen beim Verbeißen. Sie kennen das aus der afrikanischen Heimat ihrer Vorfahren.
Das Heidekraut glüht rot-orange im Licht der untergehenden Sonne. Bevor es ganz dunkel wird, schlagen wir an einem der Heidebäche unser Lager auf. Der Pferch um die Herde herum ist schnell gesetzt. Dann wirft auch schon ein Wildkräuter-Risotto in dem alten rußschwarzen Kessel über dem Feuer Blasen, manchmal auch ein Linsen-Gericht. Bei ein, zwei Tassen Tee klingt ein weiterer Tag als Heidehirtin aus. Endlich angekommen am Ende einer Tageswanderung und im Leben. Weide meine Schafe. Die Hunde haben sich eingekringelt. Ihre Pfoten zucken im Traum. Jagen sie dort im Schlummerland Kaninchen?
In der Nacht werden die Eselstuten unsere Herde bewachen. Ihre kleinen Hufe können sehr gezielt an Wolfsköpfe knallen, wenn es sein muss, nachdem ich im Schäferwagen zutiefst erfüllt in die Federn gekrochen bin. Auch ich bin hundemüde, glücklich von der Arbeit an der frischen Luft und dem Achtgeben, dass es allen Tieren und auch mir gut geht.
Vor Sonnenaufgang öffne ich den oberen Teil der Tür, schaue hinaus, atme tief die erfrischende Morgenluft ein. Der Frühnebel steigt auf. Es wird wieder ein schöner Tag hier draußen. Aber zuerst schaue ich nach den Tieren, die mir von ihrem Schöpfer anvertraut sind. Die Stuten bekommen etwas Heu. Sie brauchen das Raufutter, auch wenn sie das Gras des Magerrasens hier viel besser vertragen als das fette Gras zuhause. Erst dann gibt es Frühstück für mich, etwas Brot, Käse, einen Apfel, Nüsse und Wasser. Und dann ziehen wir wieder über das Land, langsam, stetig, wachsam, zueinander gehörend, einander brauchend.
Es geht uns allen gut.
Welche Träume doch so ein Besuch des Sennefestes an der Heidschnucken-Schäferei freisetzen kann. Und dass mir heute die Kraft dafür zur Verfügung stand, ist ein kleines Wunder.
18. August 2024
Hirschbrunft
Erwartungsvoll!
Es ist noch etwas früh im Jahr. In einer Woche erst rechne ich mit dem Beginn der Brunft. Aber gestern war Vollmond. Vielleicht hat er schon die ersten Hirsche ins Altenautal gelockt? Ich versuche mein Glück in der Abenddämmerung und gehe auf Hirschpirsch.
Jahr für Jahr sammeln sich Ende August Dutzende Hirschkühe in der offenen Auenlandschaft flussaufwärts zur Familiengründung. Es ist ein außergewöhnliches Schauspiel, wenn der Platzhirsch von größenwahnsinnigen Jungspunden herausgefordert wird, es zum Schaulaufen, Brüsten und Rangeln kommt. Nach Einbruch der Dunkelheit ist es dann eher ein HÖRspiel, es sei denn, der Vollmond beleuchtet die Szenerie und man hat ein wirklich lichtstarkes Fernglas dabei. Von den bewaldeten Hügeln, die beidseits der Altenau aufsteigen, hört man es Knacken und Röhren, kann akustisch verfolgen, woher die Hirsche aufeinander zulaufen. Irgendwann knallen Geweihe aufeinander. An der Straße dort unten im Tal am Försterhaus steht man wie in einer Naturbühne.
Heute grast eine einzige Hirschkuh in einer der Wiesen. Sie ist genau wie ich früh dran. Aber eine muss ja die erste sein. Und immerhin: im Wald jenseits der Altenau räuspert sich ein Hirsch schon zwei-, dreimal. Erste Stimmproben für den bevorstehenden Kampf um die bald zahlreichen paarungswilligen Damen. Nur einer wird gewinnen und für den Nachwuchs sorgen. Die Hirschkühe legen Wert auf die Gene des Siegers.
18. August 2024
Zwetschgenquetscherei
Schwarz, süß, zäh, rauchig, himmlisch!
Josh, der Lottahund und ich kommen von einem abendlichen Ausflug in den Wald zurück nach Hause. Ein süß-warmer schwerer Duft wabert uns aus der Küche entgegen, denn im Backofen köchelt seit sechseinhalb Stunden ein Topf mit Zwetschgenmus. Die Flüssigkeit ist verdampft. Zurück geblieben ist ein tiefdunkel lilafarbener zäher Sirup mit weichen Fruchtstückchen, die eine leichte Rauchnote ins Mus bringen und auf der Zunge zerfallen. Jetzt hätte ich bitte gern einen Becher Vanilleeis, darüber zwei, drei Löffel dieses noch warmen kostbaren Naschwerks. Dann die Augen schließen, nur noch schmecken und genießen.
Wie hab ich's gemacht?
2 1/2 kg Zwetschgen von der vom Morgentau frischen Hecke im Eselgarten gezupft, in einer Schüssel Wasser gewaschen, geviertelt, einmal längs, zweimal quer, entsteint und mit 750 g Zucker und dem Saft einer halben Zitrone vier Stunden in einem feuerfesten Topf ziehen gelassen. Meine Zwetschgen waren teilweise noch recht hart. Wenn sie in ein paar Tagen reifer sind, der Zuckergehalt gestiegen ist, werde ich die Menge des Zuckers, den ich zugebe, reduzieren.
Dann den Deckel etwas schief draufgelegt, so dass Feuchtigkeit entweichen konnte, die Früchte aber nicht verkohlten. Bei 180 Grad vier bis sechs Stunden im Backofen gebacken.
Das Mus ist fertig, wenn die Konsistenz passt.
Kochendes Wasser in Schraubgläser gegossen, Deckel aufgelegt, nach ein paar Minuten ausgeschüttet, das Zwetschgenmus hineingefüllt, die Gläser fest verschraubt und dann ins Marmeladenregal im Vorrat gestellt, direkt neben das Holunderblütengelee.
Was mache ich als Nächstes? Vielleicht irgendwas mit Holunderbeeren.
Heute Abend allerdings fahre ich noch einmal Hirsche horchen. Und siehe da, es sind schon zwei Hirschkühe an der Altenau. Die untergehende Sonne bringt ihr rötliches Fell zum Leuchten. Hübsch sind sie.
Über mir schimpft ein Waschbär im Baum, Zweige knacken. Und dann, ganz weit in der Ferne erhebt sich das langsam anschwellende Gebrüll der Hirsche. Die Brunft beginnt, wie in jedem Jahr ist das erste Mal faszinierend, erstaunlich, bannend, Ehrfurcht gebietend und aufregend.
19. August 2024
Fang die Maus
Ein ganz normaler Morgen. Etwas müder als sonst vielleicht. Ich füttere die Esel im Weidezelt. Nebenan, hinter dem Hundezaun, habe ich zuvor das Futter für Lotta und Josh verteilt. Bei trockenem Wetter werfe ich es wie Hühnerfutter aus. Das verhindert Rangeleien an den Futternäpfen. Und so suchen die beiden jetzt die Kroketten vom Boden. So hatte ich es jedenfalls gedacht.
Doch es wird schnell hektisch da drüben. Josh springt vor einem Stapel Brettchen hin und her, die an unsere Hütte gelehnt sind. Dahinter hat ein Mäuschen Schutz gesucht. Warum auch baut es sein Wohnloch ausgerechnet im Hundebereich? Doch, ich weiß schon, es ist die Nähe zur Coolen Kuhle. Auch wenn es nicht reinkommt. Leider versucht es jetzt vor Josh zu flüchten, der seine Nase mal von der einen, mal von der anderen Seite hinter den Bretterstapel bohrt.
Mein Gnadengesuch hier in meinem kleinem Paradies wird geschmäht. Josh stößt zu und dann baumelt nur noch ein Schwänzchen aus seiner Schnauze. Ih.
Ob er sie... RUNTERSCHLUCKT? Ich meine zu sehen, dass er sie ausspuckt. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Nein, ich will ja auch nicht, dass sich wieder Wühlmäuse ansiedeln und die Yorkshireterrier sollen ursprünglich wohl speziell für die Jagd auf Mäuse und Ratten gezüchtet worden sein. Auch er ist einfach seinem Wesen gefolgt. Aber... Ich denke an Zähneputzen.
Josh löst das Problem auf seine Weise und beißt herzhaft in einen frischen Eselküttel. Ich muss unbedingt daran denken, Josh zu entwurmen. Vielleicht finde ich Rainfarn.
23. August 2024
Wegwarte und Wilde Möhre
Wundersam!
Bei der morgendlichen Hunderunde mit Wandersteinvisite am Waldrand entdeckte ich vor ein paar Tagen die Wegwarte. Die hatte doch letztes Jahr noch nicht hier gestanden? Büschelweise zieht sie sich am Wanderparkplatz entlang und hat auch den Mittelstreifen des Wegs besiedelt, der hier startet. Heilkräutertherapeuten wagen ja die These, dass Pflanzen zu denen kommen, die sie brauchen. Vielleicht schärft sich aber auch nur der Blick des Bedürftigen für das, was ihm guttäte?
Warum und für wen auch immer sie hier jetzt gerade wächst: Ich mag sie. Das Blau der Blüten strahlt noch etwas heller als das der Kornblume. Morgens warten die Knospen darauf, dass die Sonne sie trifft. Dann öffnen sie sich zu strahlenden Sternen und welken auch schon wieder, je nachdem wie warm und hell es ist, innerhalb weniger Stunden. Deshalb findet man sie an Sonnentagen nur vormittags.
Aus der Wurzel wurde und wird Zichorienkaffee hergestellt. Denn siehe da, der lateinische Name lautet Cichorium intybus. Der Chicorée ist die Kulturform der Wegwarte. Aber wie sieht es mit der Heilswirkung aus? Die Freundin aus dem Nachbardorf hat mich mit dem Hildegardvirus infiziert. Immer erstmal bei Hildegard von Bingen gucken! Was schreibt sie Mitte des 12. Jahrhunderts in ihrem Werk Physica über die blaue Blume, die sie so treffend Sonnenwirbel nennt?
Und wer keine rechte Verdauung haben kann, soll Wegwarte und Große Klette nehmen und an der Sonne oder auf einem feuerheißen Stein trocknen lassen und so zu Pulver machen. Diesem Pulver füge man Salz hinzu. Dann soll man mit Honig daraus eine Honigwürze machen und diese oft nach dem Essen und zur Nacht trinken, und der Betroffene wird seine Verdauung zur rechten Zeit haben, weil die Wärme dieses Krauts und die Wärme der Großen Klette zusammen mit den Kräften des Salzes und des zubereiteten Honigs jene Kälte, die dem Magen die Verstopfung bringt, abmildert und löst. Und auf diese Weise taugt das Kraut zu Arzneien, wenn Gott es nicht verbietet.
Soso. Klingt sogar ganz lecker. Für mich wächst sie hier nicht, aber vielleicht wird Josh sie brauchen? Der hat ja einiges zu verdauen.
Hinter dem Streifen Wegwarte wächst in zweiter Reihe die Wilde Möhre als gäbe es kein Morgen. Sie duftet… mmh… möhrig eben. Von ihr kann man wirklich alles essen, von der Blüte über das Kraut und die Samen bis hin zu den Wurzeln, die viel dünner sind als die der Kulturmöhren. Ein zauberhaftes Detail haben die grünlich weißen Doldenblüten, wenn sie sich aus puscheligen Nestern öffnen. Mittendrin fällt eine winzig kleine Einzelblüte aus dem Rahmen, erst rot, dann immer dunkler werdend und schließlich schwarz. Ein echter Hingucker. Das finden auch die Insekten und halten das kleine Ding für ihrereins. Wo schon eins ist, wollen auch die anderen hin. So zieht die Wilde Möhre sie massenweise an. Wenn sie dann ihre Samen ausbildet, krümmt sie die Dolde wieder zu einem Körbchen. Ich möchte immerzu mit dem Finger hineinstreichen, weil es so flauschig aussieht.
Ich werde nach einem Gericht suchen, in denen die Wilde eine Hauptrolle bekommt. Gesund ist sie sowieso mit einem hohen Vitamin A-Anteil. Sagt Beate von Sobbe.
23. August 2024
Blindschleiche
Blendend, nicht blind!
Gut, dass sie sich bewegt hat, sonst wäre ich draufgetreten und der Schwanz wäre ab auf nimmer wiedersehen. Blindschleichen haben doch tatsächlich mehrere Sollbruchstellen im Schwanz für den Fall, dass einer der Baumfalken am hinteren Ende zupackt oder ein Mensch drauftritt, der sich gerade mit einem Esel unterhält.
Ich habe den Sack mit der mittäglichen Heuportion über der Schulter hängen, quatsche mit Rosalie, die mir über den Sandplatz folgt. Nun ja, vielleicht folgt sie ja gar nicht mir, sondern dem Heusack. Aber das kommt ja im Moment auf ‘s selbe heraus. Da liegt sie vor meinen Füßen, versucht, sich wegzuschlängeln, was aber nicht sehr gut gelingt. Es sieht genau betrachtet ganz schön hilflos aus. Kommen Blindschleichen im Sand nicht gut voran? Tatsächlich habe ich sie bisher nur an feuchtwarmen Stellen gesehen.
Im schwülheißen Schnellkomposter haben ein paar überwintert.
Später zog eine von ihnen in den lockeren Boden unter der Buchenhecke. Eine andere in den offenen Kompost, auf dem ich, warum auch immer, vor Wochen einen dunklen Gartensack abgelegt hatte. Darunter fand sie es wohl herrlich behaglich.
Nun macht also eine von ihnen einen Ausflug über den Sandplatz. Vielleicht wollte sie ein wenig Sonnenbaden? Jedenfalls ist sie da irgendwie hängen geblieben.
Rosalie bleibt vollkommen entspannt vor ihr stehen, während ich fotografiere und filme, was der Akku hergibt. Ich glaube fast, die beiden kennen sich schon.
24. August 2024
Die Brennnesseln
auf der anderen Seite des Zauns
Haarig!
Rosalie macht einen langen Hals über den Zaun und erwischt mit den Lippen gerade so ein paar Happen Brennnesselblätter. Zum Kauen und Schlucken geht sie ein, zwei Schritte zur Seite. Für sowas braucht man einen entspannten Hals, Platz, Ruhe und Muße! Plötzlich kneift sie die Augen zusammen, sperrt das Maul weit auf. Huiuiui, das brennt, vor allem wenn die Speiseröhre so lang ist! Keine drei Minuten später steckt ihre Nase wieder mittendrin in dem Kraut mit den fiesen Brennhaaren. Sie müssen schon außergewöhnlich gut schmecken, wenn Rosie die Nebenwirkungen in Kauf nimmt.
Dabei lassen die Esel die Brennnesseln komplette vier Monate lang links liegen. Aber dann kommt der Moment, also jetzt, wenn sie schon so faserig sind, dass man stabiles Nesseltuch daraus weben könnte. Da greifen die Esel mit spitzen Lippen zu. Die Nesseln müssen wohl eine bestimmte Reife erreichen, um die Feinschmecker reizen zu können.
Ich mag ja lieber die frischen Spitzen, die fast das ganze Jahr über neu austreiben.
Im Frühjahr, als es in den Hochbeeten nur Spinat gab, habe ich sie in manchem Risotto und in Quiches verarbeitet. Das schmeckte richtig gut! Und die Brennhaare brechen ja beim Kochen oder Rollen mit einem Nudelholz, so dass ich beim Essen, anders als Rosalie, nicht gepiekt, gebrannt oder bequaddelt wurde.
Brennesseln wachsen überall dort, wo der Boden mit Stickstoff angereichert ist. Im Eselgarten also in den frisch mit Eselgold gefüllten Hochbeeten und rund um den Komposter. Netterweise entziehen sie dem Boden überschüssigen Stickstoff, so dass meine Gemüse keine Stickstoffbomben werden.
Was sagt denn Hildegard von Bingen?
Die Brennnessel ist warm, und wenn sie warm aus der Erde sprießt, ist sie gekocht nützlich für die Speisen des Menschen, weil sie den Magen reinigt und den Schleim aus ihm wegnimmt.
Sag ich doch. Fast.
25. August
Viel mehr als Erntehelfer
Zwetschgen suchen ein Zuhause. Das wird mir schnell klar. Jeder einzelne Baum in der zwanzig Meter langen Zwetschgenhecke ist behangen wie ein Christbaum. An den Früchten sollen sich viele Menschen erfreuen, entscheide ich, und schnell folgen Freunde der Einladung zum Pflücken, Naschen und Verwerten.
Gleich die erste findet den Geheimgang durch die Hecke auf die Sonnenseite der Bäume, den bislang nur Esel Lotte benutzt hat. Er ist der kürzeste Weg zwischen dem Eselgarten und der benachbarten Heuwiese und man wäre als Esel ja wirklich ganz schön dumm, wenn man ihn nicht nutzen würde, wann immer es eine schwächelnde Batterie im Stromaggregat erlaubt!
Da drüben reicht das Obst bis tief auf den Boden. Die allersüßesten Früchte hängen natürlich ganz weit oben. Die kriegen nur die ganz großen Tiere oder Leute. Wusste schon Peter Alexander. Und weil wir beide klein sind, erreichen wir sie nie? So'n Quatsch! Die Enkel von Freunden aus dem Sauerland, zwei und vier Jahre alt, kennen jetzt einen richtig tollen Trick. Opa parkt die Kutsche mit den beiden und der Oma nach ein paar Runden durch den Garten zwischen den Zweigen eines Zwetschgenbaums. Vom Kutschbock aus muss man nur noch zugreifen und das herrlich süße Obst in den Mund stecken.
Die Esel stehen gespannt am Zaun und es ist wirklich nicht ganz einfach dahinterzukommen, ob sie nur gerne auch ein wenig genascht hätten oder lieber auf der Kutsche mitgefahren wären. Sie bekommen keine Zwetschgen, soviel vorweg. Die Kerne enthalten Blausäure und in ihrer Heimat, der Steinwüste, gibt es ja wohl auch keine Pflaumen. Also ist der Stoffwechsel nicht auf das Fruchtfleisch eingestellt. Aber sie sollen nicht leer ausgehen.
Die Familie hat nämlich zwei Ballen echten sauerländischen Heus mitgebracht, das unverzüglich angebrochen und verköstigt wird. Die Jungs schieben beide eine gut gefüllte Schüssel voll als Zwischenmahlzeit unter dem Zaun her, die die Esel gemütlich wegknabbern. Das Geschenk kommt gut an.
Wer kommt denn bloß auf eine so nette Idee und setzt sie dann auch noch in die Tat um, obwohl das Heu noch in fünf Jahren in den Ritzen des neuen Autos klemmen wird? Ich weiß, wovon ich schreibe.
Auch eine frühere Kollegin kommt zum Ernten und bringt noch eine Freundin mit. Beide füllen sie zwei Obstkartons, während wir da in der Hecke stehen, Gartengeschichten austauschen und es einfach ganz wundernett miteinander finden. Ich habe jetzt eine Einladung zum Zwetschgenknödelessen und bin sehr gespannt!
29. August 2024
Esel und Könige
Einstweilen kommen wieder Eselwandergäste, ein Freund und seine Nachbarin. Sie werden Rosalie und Lotte für mich bewegen. Ich bin so erleichtert, dass sich dafür immer wieder Freiwillige finden.
Aber erst einmal streckt mir die junge Frau ein Bild entgegen, das sie für mich gemalt hat. Bis tief in die Nacht hinein, wie sie mir strahlend erzählt. Die beiden Esel darauf sind ganz unverkennbar Rosalie und Lotte. Ihr Stall öffnet sich dem Betrachter inmitten einer Oase. Zwischen den beiden steht die Krippe mit dem Jesuskind, das den Betrachter lächelnd willkommen heißt. Helle Laternen unter dem Stalldach bringen die Szene zum Leuchten, dass einem warm wird, wenn man ins Bild hineinsinkt.
Rechts und links der Krippe stehen große Pakete glänzendes Goldes, als Geschenke in Schleifen geschlagen. Ein schlankes durchbrochenes Gefäß daneben lässt kostbaren Inhalt vermuten, ebenso wie die verschließbare Schatulle.
Die Weisen waren schon da, haben Weihrauch, Myrrhe und Gold gebracht für den Priester, Heiler und König Jesus.
Die Kokospalmen in der Oase bezeugen das Königtum Jesu, auch wenn es der Künstlerin vielleicht nicht bewusst war. Sie hatte gehört, dass Könige im alten Ägypten solche Palmen in ihre Gärten pflanzten. Deshalb hat sie sie gemalt.
Die junge Frau mit Förderbedarf hat tatsächlich die letzte Stallweihnacht gemalt, die sie im Advent besucht hat! Darin ging es um die rätselhaften Gaben der Weisen. Wir hatten den heilsamen Balsam aus Myrrhe, die wertvollen goldenen Steine und den wohlriechenden Weihrauch den Besuchern zum Begreifen in die Hände gegeben. Sie haben sich ihr ganz offensichtlich tief eingeprägt. Wie schön ist das denn nun wieder.
Rosalie und Lotte, jetzt die echten, interessieren sich auch für das Bild, schieben ihre Nasen immer näher heran. Ob es sie genauso berührt wie mich? Nö. Sie sind scharf auf den Rahmen. Herrliches Knabberholz. Schnell in die Sicherheit der Hirtenhütte gebracht.
Und dann geht es endlich auf den Weg ins Korthental, ich mit dem Auto vorneweg, die Gäste mit den Langohren hinterher.
30. August 2024
Nachbars Äpfel
Verführerisch!
Die Hunde bringe ich heute morgen auf einen Feldweg, den wir schon lange nicht mehr besucht haben. Die Luft ist herrlich frisch, nach ein paar heißen Tagen wieder voller Sauerstoff. Das tut uns allen richtig gut. Josh verschwindet sofort, die Rute hoch aufgerichtet, im Maisfeld. Er verfolgt eine Spur, immer der Nase nach. Ist er mit der kleinen Gartenmaus auf den Geschmack gekommen?
Das Lottchen bleibt bei mir. Sie weiß, dass in der linken Hosentasche Trockenfutter steckt. Ihr kann man da überhaupt gar nichts vormachen und wenn man nur lange genug diese Hosentasche hypnotisiert, muss Elisabeth doch kapieren, dass man ganz fürchterlich hungrig ist. Auch wenn man gerade erst gefrühstückt hat.
Ich habe noch nicht gefrühstückt und brauche schon nach gut hundert Metern eine Pause. Ich setze mich auf den Weg und ich hätte wirklich kein schöneres Fleckchen finden können, um schlapp zu machen.
Josh taucht aus dem Maisfeld auf und inspiziert als nächstes den frisch eingesäten Acker, der sich vor mir bis hinunter ins Tal erstreckt. Wunderbar, hier habe ich ihn gut im Blick, er kann in aller Seelenruhe herumschnüffeln, während meine Beine ruhen.
Die Aussicht von hier oben auf die Huser Landschaft ist wunderschön. Der Lottahund hat natürlich kein Auge für so was. Der muss ja die Hosentasche angucken.
Wie schön kann so ein Samstagmorgen sein!
Das I-Tüpfelchen ist ein Apfelbaum am Wegrand. Er trägt gut. Die Äpfel sind grünlich gelb mit lauter roten Einsprengseln. Ob ich mir diesen einen da oben, den besonders großen, schönen, pflücken darf, der so saftig ausschaut? Ein Blick unter den Baum ermutigt mich. Es liegt viel Fallobst herum. Hier hat offenbar niemand Interesse an den verführerischen Äpfeln. Vorsichtig die Hand ausgestreckt, die Finger schließen sich um die reife Frucht. Ganz leicht löst sie sich und fällt mir entgegen. Morgenglück! Dieser Apfel wird mein Frühstücks-Müsli krönen. Nachbars Äpfel schmecken am besten!
31. August 2024
Abhängen
Manchmal werde ich wehmütig. Dann möchte ich wieder Radfahren können wie damals 2003, als ich von der Pfalz aus durch die Vogesen bis nach Taizé im Burgund gefahren bin. Das Altenautal würde mir ja vorerst reichen.
Oder schwimmen. Das habe ich auch immer gerne gemacht. Jetzt schwächt allein der Wasserdruck schon meine schmerzenden Muskeln, noch bevor ich sie bewege. Oder Joggen, - vor Übermut oder Freude an der Bewegung einfach losrennen.
Aber am sehnlichsten wünsche ich mir, wieder mit meinen beiden Eseln spazieren zu gehen. Sie sind im Lauf der Jahre so wundervolle Wandergefährtinnen geworden. Rosalie konnte ich zuletzt allein mit der Hand auf dem Widerrist führen. Wir konnten uns unvergleichlich aufeinander einstimmen. Das ewige Pubertier Lotte war auch auf einem guten Weg. Jetzt nur noch Zelt, Schlafsack, Trinkflasche und ein paar Klamotten zusammenpacken. Dann könnte es losgehen.
Oder auch nicht. Weil spätestens durchs Packen schon alle Kraft verbraucht wäre.
Es hilft ja nichts. Muss ich eben wieder mit dem Lottahund und Mäuse-Josh bei den Eseln abhängen. Tatsächlich hat mich heute Mittag die Freundin aus der Nachbarstadt daran erinnert: ich habe doch auch eine Hängematte! Schnell ist sie aus dem Schrank in der Hirtenhütte hervorgekramt und unter das kühlende Blätterdach zweier Buchen gespannt.
Das Abhängen läuft übrigens nicht unter Faulsein. Um es mit der wie ich an ME/CFS erkrankten Ärztin Dr. Natalie Grams zu sagen: Ich chille nicht, ich pace. Oder: Ich wünsche mir mal wieder eine ganz normale Erschöpfung. Sie hat ihr Buch BITTE ENTSCHULDIGEN SIE, DASS ICH STÖRE, ABER WIR MÜSSEN MAL ÜBER LONG-COVID UND ME/CFS REDEN im Liegen diktiert.
Pacing ist das Zauberwort für unsereins: die hohe Kunst, sich seine verminderte Kraft so einzuteilen, dass sie für den Tag reicht, ohne dass sich der Zustand weiter verschlechtert. Zwischendurch immer wieder Pausen zu machen, um die Ladung des Akkus konstant zu halten, weil der Nachtschlaf ihn nicht wieder füllt.
Jetzt also die Hängematte. In der Fichte gurrt eine Taube, die sich jedes Jahr mit den Falken um die Brutplätze da oben streitet. Die Luft um mich herum flattert vor Schmetterlingen. Es sind neuerdings so viele Tagpfauenaugen und ein paar kleine Füchse im Garten unterwegs, den Brennnesseln sei Dank.
Ein Gute-Laune-Buch, ein Biobier, das ein wenig Hitze wegzischt, und ein paar Bömsken dabei, fertig.
So kann man Fatigue aushalten. Es könnte alles viel schlimmer sein.
2. September 2024
Schmetterlingshöhle
Beschützt!
Es war ein eher zufälliger Blick von unten in die Dachkonstruktion des Weidezeltes. Die Abendversorgung läuft ja eher automatisiert, in gewohnten Abläufen. Eine Portion Heu ins ausrangierte Porzellanwaschbecken, eine weitere in das erste Heunetz. Dann zusammen mit Rosalie nochmal die Nase tief in den Heusack tauchen, um das zweite Netz zu füllen, und dabei das Glück der Nähe zueinander im Bauch und in den Wangen kichern spüren.
Es gibt ja Eselhalter, die ihre Tiere so dressieren, dass die auf Distanz bleiben, bis alles Futter dahin verteilt ist, wo es hingehört. Dann geben sie das Kommando für den kollektiven Zugriff und alle Esel stürzen sich gemeinsam aufs Futter. Das brauche ich nicht. Bei uns dreien läuft es ganz entspannt da unten im Heusack.
Und dann habe ich wohl nach oben geguckt. Da hat doch tatsächlich einer der Schmetterlinge angedockt. Ist wohl vor dem Platzregen eben hierher geflüchtet. Ach nein, da hängen ja noch zwei weitere. Als ich anfange nach weiteren zu suchen, finde ich 27 und freue mich schon wieder mehr darüber, dass das Zelt außen den Eseln noch einen Schwarm beherbergt, als über ein großes Erdbeereis mit Sahne und bunten Knusperstreuseln.
Nur einer hängt da irgendwie komisch. Der Pechvogel ist in einem Spinnennetz gelandet. Das kann und darf nicht sein Ende sein, beschließe ich. Mit der Mistforke angele ich vorsichtig nach dem klebrigen Faden, hole ihn mit dem Flatterkerl zusammen herunter und löse die beiden voneinander. Die linke Flügelspitze verbiegt dabei ein ganz kleines bisschen.
Er braucht jetzt ein wenig Zeit, um sich von dem Schrecken zu erholen. Aber dann begreift er, nur einen befreienden Flügelschlag später, dass ihn nichts mehr hält. Zufrieden schaue ich dem hübschen Tagpfauenauge hinterher.
Soll die Spinne doch Mücken futtern.
3. September 2024
Morgendämmerung
Ich mag es, früh schlafen zu gehen und dann vor Sonnenaufgang draußen zu sein. Aus der Hirtenhütte heraus ist es nur ein kleiner Schritt in diese besondere Stimmung zwischen Nacht und Tag hinein. Ich höre mehr als ich sehe. Geräusche, zu denen ich keine Bilder habe.
Langsam lösen sich die Esel aus dem Dunkel ihrer Umgebung. Die weißen Nasen, Mehlmäuler nennt man sie, beginnen schon ein wenig zu leuchten. Dann werden aus den Grautönen der ersten Dämmerung schwache Farben und man kann nachher wirklich nicht mehr sagen, wann genau dieses Wunder stattgefunden hat.
Die Schmetterlinge hängen noch kopfüber im Zelt. Schlafmützen. Aber was sollen sie auch schon herumflattern, wenn man ihre bunte Schönheit noch gar nicht recht betrachten kann. Der Tanz der Tagpfauenaugen beginnt im Sonnenschein.
Das wird noch dauern.
Mit den Hunden fahre ich hinauf zum Eisenkrautweg.
Über dem Wegesende färbt sich der Himmel zartgelb. In die Senken im Wald darunter hat sich Tau gelegt. Als die Sonne erste Flammen über den Horizont wirft, ist sie ein gutes Stück nach Osten gewandert seit unserem letzten Besuch. Die Erde hat sich ein Stück weitergedreht.
4. September 2024
Bunte Wolke
Bezaubernd!
Ich betrete ein Zauberland. Dabei bin ich doch nur durch das Gartentor gegangen. Ich bleibe stehen, um zu staunen. Die Luft schillert von Schmetterlingen. Sie setzen sich auf meinen Arm. Einer landet auf dem Kopf, stößt sich wieder ab. Dutzende Sonnentänzer segeln durch die Zwetschgenhecke, die immer noch überreich trägt. So etwas habe ich noch nie erlebt, steige auf die Kutsche, um in die bunte Bande einzutauchen. Will ihnen so nahe wie möglich sein.
Dort sitzt ein Tagpfauenauge auf einer überreifen Frucht, schließt und öffnet die Flügel, seinen Rüssel hat er ins Fleisch gesteckt, um gierig vom Saft zu trinken.
Andere sonnen sich auf den Blättern des Holunders.
Auch am Heuhäuschen haben ein paar ihre Flügel weit auseinander gestreckt, um die letzten warmen Strahlen einzufangen.
Ein großer Fuchs hängt sich mal hier, mal dort unter einen Fichtenzweig. Sucht er schon einen Schlafplatz?
Dann verschwindet die Sonne im Wald. Es wird ruhig in der Hecke. Nur ganz vereinzelt schwebt noch ein übermütiger kleiner Kerl zwischen den Zweigen des Apfelbaums herum. Dann ist der Zauber vorbei. Und ich sitze immer noch auf der Kutsche und kann es noch gar nicht fassen.
5. September 2024
Lotte hat die Hufe schön
Paradiesisch!
So alle sechs bis zwölf Wochen muss er schon kommen, der Hufschmied. Je nach Wetter.
Heute ist Lotte fällig. Ihre Hufe sind zu lang geworden und hinten links leider auch ein bisschen unregelmäßig gewachsen. So steht sie nicht mehr richtig. Das wirkt sich auf das ganze Skelett aus, wenn es nicht korrigiert wird.
Der Schmied ist zum ersten Mal bei uns, kennt die Tiere noch nicht und, was schwerer wiegt, die Tiere kennen ihn noch nicht. Aber von Anfang an gibt es keine Berührungsängste. Er geht ganz langsam auf sie zu, interessiert sich für sie, gibt ihnen Zeit zu schnuppern, albert mit ihnen herum, bis er Lottes ersten Huf hebt. Rosie wird doch tatsächlich eifersüchtig, drängt sich immer wieder zwischen die beiden, reibt ihren Kopf hingebungsvoll an dem Mann. Er stößt sie nicht zurück, lacht, obwohl sie ihm seine Arbeit wirklich nicht leicht macht. Man spürt, er mag die Tiere, ist gerne mit ihnen zusammen. Und schafft es trotz Rosies Körpereinsatz, dass am Ende Lottes Hufe wieder gerade und kurz sind. Genau so, wie sie sein sollen, um durch alpines Hochgebirge steigen zu können, falls es mal erforderlich sein sollte.
Für mich gibt es nebenbei viele Informationen über Equidenhaltung, Hufaufbau, Futter. Der Mann weiß einfach alles und teilt sein Wissen gern.
Am Ende, er geht schon zum Auto, dreht er sich noch einmal um, betrachtet den kargen Auslauf und die schlanken Esel, die ihm so weit gefolgt sind, wie sie es eben können ohne im Zaun hängenzubleiben. Lächelt wie einer, der so richtig glücklich ist mit dem, was er sieht, und sagt:
Viel Strecke zum Laufen und ein harter Boden, der die Hufe gut abläuft. Das hier ist ein Eselparadies.
Dieser Mann ist ab sofort mein Freund.
6. September 2024